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Organisationsbionik – Organisationen nach dem Vorbild der Natur gestalten

Zusammenfassung für eilige Leser
Es gibt eine Vielzahl an Erklärungsmodellen für Organisationen, aus der Soziologie, Psychologie oder den Betriebswirtschaft. Einen vielversprechenden Blick liefert der Blick in die Natur. Der Artikel erklärt, wie Bionik für organisatorische Fragestellungen gelingen kann und welche bekannten Ansätze von natürlichen Vorbildern inspiriert wurden.

Organisationen verstehen

Unternehmensorganisationen lassen sich auf vielfältige Art und Weise begreifen: Für Soziologen ist sie das Ergebnis eines Zusammenspieles aus sich selbst erzeugender Kommunikation. Der Betriebswirtschaftler denkt klassisch an den Dualismus aus Aufbau – und Ablauforganisation. Also einmal Kästchen von oben nach unten (Hierarchie) und einmal Kästchen von links nach rechts (Prozesse). Der Organisationspsychologe hingegen blickt auf den Kontext der Organisation und seine Auswirkungen auf das Handeln des Individuums.

Sicherlich gibt es noch viele andere Denkschulen, die sich mit der Frage befassen, wie Organisationen zu verstehen sind. Denn eines ist allen gemein: Sie liefern nur einen eng gefassten Blick auf Organisationen, der für sich sicher richtig ist, jedoch das große Ganze einer sozialen Organisation niemals einfangen kann. In diesem Artikel beleuchte ich welchen Beitrag die Organisationsbionik liefern kann, um uns zu einem gesamtheitlichen Verständnis von Organisationen helfen kann.

Was ist Organisationsbionik?

Den Begriff Bionik haben die meisten Menschen wohl schon gehört – irgendetwas mit Natur. Genau: Bei der Bionik handelt es sich um die Wissenschaft zur Lösung technischer Probleme nach dem Vorbild der Natur. Wir alle kennen technische Erfindungen, die ursprünglich aus der Ideenkiste von Mutter Natur stammen: Klettverschluss, Lotus-Effekt, Sonar oder Flugzeugtragflächen. In jüngster Vergangenheit lernen wir aber nicht nur Bauprinzipien abzuschauen, sondern auch natürliche Abläufe zu nutzen: Leichtgewichtbauteile werden nach dem Wachstum des Schleimpilzes am Computer erzeugt. Der Reiz der bionischen Forschung ist offenkundig: Alles, was wir in der Natur beobachten können, ist durch Jahrmillionen natürlicher Auslese verfeinert und perfektioniert worden. Damit sind natürliche Vorbilder in einem Reifegrad angekommen, den technische Innovationen sonst nicht liefern können.

Ist es bei all den technischen Durchbrüchen nicht naheliegend, dass die Natur uns auch etwas darüber beibringen kann, wie Organisationen gestaltet werden sollen? Genau dieses Teilgebiet ist die sogenannte Organisationsbionik. Sie versucht organisatorischen und gesellschaftlichen Fragestellungen anhand der Beobachtung der Natur zu beantworten.

Gefahren und Chancen der Organisationsbionik

Wir alle kennen weitverbreitete Beispiele wie Bienenschwärme und Wolfsrudel. Doch inwiefern lassen sich die Herausforderungen moderner Organisationen in einer digitalisierten Welt durch Erkenntnisse aus der Beobachtung von Tieren lösen?

Ich halte diese Skepsis für gerechtfertigt. Ich bin überzeugt, dass Analogien aus der Natur immer mit Bedacht behandelt werden sollen. Denn die zugrunde liegende Annahme ist ja, dass wir eine Ähnlichkeit zwischen den beiden Betrachtungsgegenständen (also z. B. einem Bienenschwarm und Abteilung) unterstellen. Ist diese Ähnlichkeit nicht gegeben, begehen wir einen Fehlschluss, der keinen Mehrwert liefern kann. Gut, abgesehen von einem gewissen Unterhaltungswert natürlich. Denn die Natur schreibt zweifellos spannende Geschichten und liefert schillerndes Anschauungsmaterial.

Es ist offensichtlich: Bei der Organisationsbionik werden zwangsweise unterschiedliche Objekte und Phänomene miteinander verglichen, deren Ähnlichkeit bezweifelt werden darf. Die Kunst ist es also, sich weniger auf offensichtliche Ähnlichkeiten zu stützen, sondern abstrakte Wirkprinzipien zu erkunden, die eine ausreichende Gültigkeit für beide Objekte besitzen. Amüsant, denn auf diese Gefahr wird sogar von staatlicher Seite hingewiesen: das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag warnt sogar vor naiven Analogien und Sozialdarwinismus bei der Übertragung von natürlichen Beobachtungen auf gesellschaftliche Fragen [1].

Wie kann man von der Natur lernen?

Um bewusster mit den Grenzen der Analogienfindung umzugehen, wenden wir uns kurz den Arten des bionischen Lernens zu, das auf dreierlei Art erfolgen kann [2]:

Erstens: Das Lernen von den Ergebnissen der Evolution

Dies ist die klassische Domäne der Bionik. Es werden Ergebnisse, sprich Lebewesen, Phänomene und Strukturen beobachtet und auf technische Lösungen übertragen. Das mag bei technischen Anwendungen problemlos funktionierten, birgt im Rahmen der Organisationsbionik doch erhebliche Gefahren. Denn bei einer technischen Innovation wird versucht, das natürliche Vorbild exakt nachzubilden, indem physikalische Strukturen nachempfunden werden. Die notwendige Ähnlichkeit zur Übertragung ist hier nicht Grundvoraussetzung, sondern Ziel des Vorhabens.

In der Organisationsbionik hingegen kann es aber kaum die Absicht sein, die natürliche Struktur des Bienenschwarms exakt nachzuempfinden. Niemand würde ernsthaft versuchen ein möglichst vergleichbares Sozialgefüge zu installieren. Das funktioniert allein deshalb schon nicht, da die für die Zielorganisation konstituierenden Elemente einander nicht ähnlich sind: Bienenschwärme bestehen aus Königinnen, Arbeiterinnen und Drohnen, menschliche Organisationen hingegen aus Menschen.

Zweitens: Das Lernen vom Evolutionsprozess

Hier geht es darum, den Prozess der Evolution selbst zu nutzen, sprich Verfahren und Algorithmen zu entwickeln, die auf Selektionsmechanismen á la Darwin basieren. Da es hier bereits um „Wie“ anstelle von „Was“-Fragestellungen handelt, bin ich der Meinung, dass diese auch für organisatorische Fragestellungen nutzbar sind. Dass die darwinsche Idee einen universellen Charakter hat, der weit über biologische Fragestellungen hinaus Antworten liefert, ist heute anerkannt [3]. Evolutionsalgorithmen sind deshalb heute bereits verbreitet, wenn es um Optimierungsprobleme geht, denen man durch wiederholte Selektion versucht anzunähern. Lose übertragen kann man den verbreiteten Deming-, oder auch PDCA-Zyklus zur Prozessoptimierung hier einordnen: Denn nach jeder Veränderung (Mutation) in Form der Do-Phase, folgt eine Check-Phase, in der die tatsächlichen Ergebnisse evaluiert werden. Sind diese nicht ausreichend gut, wird der Lösungsansatz selektiert und ggf. eine neue Optimierungsrunde eingeleitet (Act-Phase)

Drittens: Das Lernen von den Prinzipien der Evolution

Die dritte Art des Lernens geht es um die Nutzbarmachung grundlegender Prinzipien der Natur, wie z. B.: Selbstorganisation, Autopoiesis, Rekursion oder der Modularität. Aus meiner Sicht ist diese Art des Lernens ein Sonderfall der ersten Methode, indem man sich auf die Zusammenhänge und Interaktionen bei der Beobachtung von natürlichen Vorbildern fokussiert – dem „Wie“. Denn aus einem Verständnis der Abläufe lassen sich abstrakte Prinzipien ableiten, die wiederum breiter übertragbar sind. Ich persönlich halte die Gewinnung von natürlichen (Erfolgs-)Prinzipien für sehr ergiebig, da mir meine mittlerweile fast 10 Jahre andauernde Lernreise eines gezeigt hat: Das natürliche Prinzipien zwingende Notwendigkeit besitzen – und zwar für alle lebenden Systeme (und Organisationen).

Beispiele für organisationsbionische Ansätze

Im Folgenden habe ich eine ausgewählte Liste an mir bekannten Organisationsansätzen zusammengetragen. Die Reihenfolge ist grob chronologisch von alt zu neu erfolgt. Vermutlich werden Sie auch überrascht sein, den einen oder anderen Ansatz hier zu finden, da dessen Begründer sich sicherlich nicht als Organisationsbioniker verstehen würde. Außerdem kommentiere ich kurz, wie viel Inspiration aus der Natur Einfluss in den jeweiligen Ansätzen steckt. Eine fehlende Übertragung vom natürlichen Vorbild ist selbstredend kein Kriterium für fehlende Wirksamkeit sein, ist aber damit keine bionische Analogie im engeren Sinne mehr.

Viable System Model von Stafford Beer

Bereits in den späten 1960er-Jahren formuliert, ist das Viable System Model (abgekürzt VSM) das älteste Management-System nach dem Vorbild der Natur [4]. Erfunden vom Management-Kybernetiker Stafford Beer ist das VSM ein generisches Referenzmodell für jede Art von Organisation, mit dem Gedanken, diese überlebensfähig zu machen. Beer spricht selbst davon, dass das VSM dem menschlichen Zentralnervensystem nachempfunden ist. Das VSM teilt das zu steuernde System in fünf Subsysteme ein, die alle einen bestimmten Beitrag zum lebensfähigen Gesamtsystem liefern. Man erkennt hier deutlich, dass Beer einen operativen Managementhintergrund hatte. Die fünf Systeme von Produktion bis hin zum Management, wirken eher wirtschaftswissenschaftlich als biologisch. Trotz seines Alters hat das VSM bis heute überdauert, wird erfolgreich angewandt und hat unter anderem auch das St. Gallener Management-Modell maßgeblich beeinflusst.

Nun, das VSM ist sicherlich nicht zu Unrecht in dieser Liste. Doch ist es aus meiner Sicht weniger bionisch angehaucht, als es den Anschein macht. Die Ähnlichkeiten zu einem menschlichen Nervensystem sind als anekdotisch einzustufen. Denn sie beziehen sich häufig eher auf anatomische Ähnlichkeiten („Was“) anstelle der Funktionalität („Wie“). Das mag auch am begrenzten Wissen über die Wirkungsweise unseres Nervensystems Mitte des letzten Jahrhunderts liegen. Auf der anderen Seite finden sich natürliche Prinzipien wie die Rekursion oder Autopoiesis darin wieder, die aus dem Repertoire der Natur kommen. Praktisch liefert es aus meiner Sicht sehr hilfreiche Ansätze zur Strukturierung und Gestaltung von Organisationen, gerade wenn es darum geht Organisationseinheiten mit einem optimalen Handlungsspielraum auszustatten (siehe auch [5]).

Eine Abschlussbemerkung: Obwohl ich ein echter Fan des VSM bin, ist gerade der Name des Modells irreführend: Viable System Modell, also überlebensfähiges Systemmodell. Doch wie auch viele andere Denker, die durch die kybernetische Denkschule des 20. Jahrhunderts beeinflusst wurden, konnte Beer mit seinem Model nicht die Lebensfähigkeit von Organisationen erklären. Denn das wäre so, als ob man behauptet, ein Nervensystem ist überlebensnotwendig. Das würde Pilzen, Bäumen und anderen einzelligen Lebewesen aber sicherlich Unrecht tun, die hervorragend ohne diese Einrichtung zurechtkommen.

Systemtheorie nach Niklas Luhmann

Ja, vermutlich ist der eine oder die eine überrascht, die Systemtheorie nach Niklas Luhmann hier zu finden, doch ich habe dafür meine Gründe. Herr Luhmann ist ja dafür bekannt, über Jahrzehnte einen recht umfassenden Erklärungsansatz für die Beschreibung von komplexen sozialen Organisationen (oder Systemen) verfasst zu haben. Nicht nur hat er erkannt, dass die Differenz zwischen Dingen notwendig ist, um überhaupt etwas erkennen zu können und definiert Systeme als die Differenz seiner Umwelt. Ein System hat demnach unterscheidbare Eigenschaften gegenüber seiner Umwelt, die in der Beziehung zwischen seinen Elementen zu finden sind. Diese Beziehung ist die Kommunikation bzw. Interaktionen innerhalb einer sozialen Organisation. Kommunikation erzeugt wiederum neue Kommunikation usw. wodurch das soziale System „am Leben bleibt“. Und an dieser Stelle ist Luhmanns Blick in die Natur offenkundig: Denn Luhmann verwendet den Begriff der Autopoiesis, die ein zentrales Prinzip der Systemtheorie ist und interpretiert ihn im Sinne der Sozialwissenschaften [7]. Denn Autopoiesis bezeichnet die sogenannte Selbsterzeugung (griech. autos = selbst und poiesis = erzeugen) von Lebewesen und lebenden Systemen und wurde erstmals durch die Biologen Humberto Maturana und Franceso Varela geprägt [8]. Luhmanns Erkenntnis: Soziale Systeme verarbeiten kontinuierlich Sinn und operieren auf Basis von Kommunikation, während Biologische materielle Ressourcen verarbeiten und auf Basis von physikalisch-chemischen Prozessen operieren. Beide sind somit auf ihre Art autopoietisch.

Luhmann hat mit der Integration des biologischen Prinzips der Autopoiesis eine Ähnlichkeit zwischen Lebewesen und sozialen Organisationen gezogen. Er ging sogar so weit zu sagen, dass nichts in der Soziologie Sinn ergebe, betrachte man es nicht im Lichte der Autopoiesis [6]. Ich werte das als Anerkennung dafür, dass soziale Organisationen im übertragenen Sinne virtuelle Lebewesen sind. Damit gehört die luhmannsche Systemtheorie in meinen Augen zurecht auf diese Liste, von der Natur inspirierter Ansätze.

Synergetik von Herman Haken

Die Synergetik ist die interdisziplinäre Theorie der Selbstorganisation, die in der Natur in vielfacher Weise beobachtet werden kann, bspw. beim Wachstum von kristallen Wellenstrukturen, Wolkenmuster, Dünen bis hin zur Zellbildung. Die Synergetik ist in den 1970er-Jahren aus der statistischen Physik der Nichtgleichgewichtssysteme hervorgegangen und behandelte zunächst nur physikalische Systeme. Ziel ist es, Prinzipien der natürlichen Selbstorganisation in dynamischen, komplexen Systemen zu ergründen, z. B. die durch die Wechselwirkung gleicher Elemente innerhalb dieser Systeme entsteht. In bionischer Manier überträgt die Synergetik seit ihrer Begründung physikalische Beobachtungen auf anderen Wissenschaftsdomänen wie der Soziologie, Psychologie, aber auch der Managementlehre [9].

Die Synergetik liefert damit einen bionischen Erklärungsansatz für die Ausprägung von Selbstorganisation im Organisationsumfeld. Anstelle starrer hierarchischer, sollen flache veränderliche Organisationsstrukturen folgen, die durch verteilte Intelligenz Entscheidungen treffen. Durch die Wahl der richtigen Ordnungsparameter durch eine höhere Instanz, soll das Management geeignete Ausgangsbedingungen für die Selbstorganisation im Unternehmen schaffen.

Zellstruktur-Design von Nils Pfläging und Silke Hermann

Das Zellstruktur-Design verspricht ein modernes Managementsystem bzw. Open Source Sozialtechnologie nach dem Vorbild der Zelle [10]. Der Ansatz verbindet eine Vielzahl an 12 Beta-Kodex und 12 Zellstruktur-Design-Prinzipien. Ich bin der Meinung, dass die Prinzipien für sich alle nicht grundlegend falsch, aber losgelöst voneinander sind. Insbesondere fällt auf, dass der Ansatz und seine Prinzipien aber außer einer augenscheinlichen Ähnlichkeit mit einer Zelle, keine tiefergehenden Übertragungen enthält. Die wenigen Ähnlichkeiten sind der Übertragung von anatomischen Strukturen („Was“) entsprungen, was wie eingangs beschrieben im Kontext von Organisationen nicht zielführend ist. Das eine Zelle rund ist, und ein Innen und Außen hat stimmt zwar, jedoch ist die Lernmöglichkeit daraus für Organisationen überschaubar. In seiner Gesamtheit ist für mich der Zellstruktur-Design-Ansatz eher ein Potpourri moderner Managementphilosophie von Selbstorganisation bis hin zur Agilität.

Sonstiges: Fraktale, Bienenwaben und andere Organisationsmodelle

Vor einiger Zeit titelte ein Artikel der Corporate Rebels: „10 progressive Organisationsstrukturen, die von echten Unternehmen entwickelt wurden“ [11]. Spannend war dabei für mich, dass davon die Hälfte nach Strukturen benannt worden sind, die in der Natur vorkommen, darunter: Amöben, Zellen, Fraktale, Bienenwaben und Gittermuster.  Sobald man dann in die Beschreibungen der einzelnen Organisationsstrukturen eintauchte, stellte man fest, dass die Benennung nach ihrem natürlichen Vorbild eher erzählerischem Ursprung ist. Denn egal ob Amöben, Fraktale oder Bienenwaben immer ging es darum, dass es kleinere (mehr oder weniger) autonome Einheiten im Unternehmen gab. Diese selbstorganisierten Einheiten waren gegenüber dem Gesamtunternehmen klein (5 bis 50 Mitarbeiter), und selbst für ihre Profitabilität verantwortlich. Bionisch betrachtet ist auch die Zelle eines Lebewesens eine autonome lebensfähige Einheit. Zellen sind jedoch im Verbund (als Teil eines Organismus) zumeist stark spezialisiert und somit nur in Symbiose mit dem restlichen Zellverbund lebensfähig ist. Je nachdem ob die genannten Organisationseinheiten also miteinander als Ganzes operieren oder (z. B. wie bei Kyoceras Amöben) autonom und im Wettstreit bleibt die bionische Analogie fragwürdig. Auch Insektenschwärme, die gerne als Super-Organismen bezeichnet werden gibt es keinen inneren Wettbewerb zu beobachten. Folglich ist anzunehmen, dass die Namensgebung dieser Organisationsmodelle eher zufällig ist und weniger von einer überlegten Übertragung aus der Natur herrührt.

Viable Business von Clemens Dachs

Die Eigenschaft aller lebenden Systeme (Lebewesen und Organisationen), sich selbst zu erzeugen, ist die Autopoiesis. Sie ist für Leben zentral, denn ohne Autopoiesis kein Wachstum und ohne Wachstum kein Leben. Doch beschäftigt man sich eingehender mit der Autopoiesis stellt fest, dass diese von den Vordenkern des letzten Jahrhunderts nicht erklärt werden konnte.

Im Jahre 2013 wurde von Clemens Dachs Idee geboren, dass Organisationen doch wie Lebewesen funktionieren müssten. Denn Lebewesen haben viele positive Eigenschaften, die sich Unternehmen heute wünschen: Schnelles Wachstum, inneres Gleichgewicht und eine über Jahrmilliarden bewährte Anpassungsfähigkeit. Doch anstelle sich mit ausgewählten Lebensformen zu beschäftigen, wählte Dachs einen bisher eher ungewöhnlichen Beobachtungsgegenstand: die Zelle. Denn egal ob Mensch, Tier, Einzeller oder Pflanze auf molekularer Perspektive ist jede Lebensform gleichartig aufgebaut. Die Zelle ist der kleinste gemeinsame Nenner des Lebens. Wirkliche Lebensfähigkeit von lebenden Systemen kann also nicht mit einem Nervensystem (vgl. VSM) erläutert werden, sondern indem man die molekularbiologischen Dynamiken jeder Art von Leben entschlüsselt. Es geht somit nicht darum, die Struktur der Zelle zu verstehen, sondern die zugrundeliegende Funktion, die Autopoiesis bedingt („Wie“). Die These dahinter: Sind die funktionalen Wirkprinzipien verstanden, sollten diese sich auch auf andere lebende Systeme, wie Organisationen übertragen lassen.

Die Ergebnisse der Forschungs- und praktischer Anwendungsarbeit führten Dachs 2020 zur erfolgreichen Dissertation über „Viable Project Business – A Bionic Management System for Large Enterprises“ [12], 2021 zu unserem gemeinsamen Business-Roman „Zellkultur“ [13] und in diesem Jahr zu einem kleinen, kurzweiligen Theoriebüchlein, „Autopoiesis“ genannt [14]. 

Gegenstand all dieser Werke ist die Beschreibung eines bionischen Management-Systems, dass auf logisch aufeinander aufbauenden Prinzipien beruht. Und zwar fundamentalen Wirkprinzipien, die im Zusammenspiel die lebensfähige Dynamik erzeugen, die Autopoiesis überhaupt erst ermöglicht. Die spannende Erkenntnis: Lebewesen sind nur in ihrer Gesamtheit im Gleichgewicht (Homöostase), weil ihre gesammelten inneren Abläufe selbstverstärkend, also exponentiell ablaufen (Katalyse). Was erstmal wie ein Paradoxon klingt, ist der grundlegende Bauplan des Lebens, der Leben physikalisch überhaupt erst möglich macht. Denn Clemens Dachs Theorie beginnt ganz unten: bei der Betrachtung der physikalischen Rahmenbedingungen unseres Universums. Denn diese Notwendigkeiten brachten in Folge die lebendige Dynamik hervor, die wir unverändert seit Jahrmilliarden in Zellen aller Art vorfinden.

Mit meiner Hilfe übersetzten und implementierten diese Beobachtungen in den letzten Jahren, um diese praktisch in Unternehmen nutzbar zu machen. Dabei zeigte sich Erstaunliches: Selbst Erfolgsprinzipien verbreiteter Managementansätze wie Lean, Agile und Theory of Constraints, lassen sich in lebenden Zellen wiederfinden. Sie sind, richtig kombiniert, Bausteine einer wachstumsfördernden Dynamik. Es ist also denkbar, dass der bionische Funktionsplan des Lebens eine geeignete Landkarte ist, um bekannte und erfolgreiche Methoden der Unternehmensführung, zu einem widerspruchsfreien Ganzen zusammenzufügen.

Aus Sicht der Bionik ist der Dachse Ansatz ein fundierter Versuch, vom „Wie“ des Lebens zu lernen, um Organisationen lebensfähig in einer sich veränderlichen Umwelt zu gestalten. Durch das erstmalige Verständnis der Autopoiesis selbst, können Unternehmen ihr Wachstum fördern, indem sie die nötigen Dynamiken nach dem Vorbild der Natur erzeugen. Damit bietet der Ansatz das Potenzial, die Denkweise darüber, wie Organisationen verstanden werden, grundsätzlich zu revolutionieren.

Und was kommt nach der Analogie?

Alles was gegen die Natur ist hat auf Dauer keinen Bestand.

-Charles Darwin

Ich bin der Überzeugung, Darwins Zitat bringt es auf den Punkt. Die Natur ist so ideenreich, wie genial. Seit Milliarden von Jahren schafft sie Organisationsformen in einer unvorstellbaren Komplexität und Vollkommenheit. Ich glaube daher, dass es sich lohnt, wieder ganz genau hinzusehen. Hinzusehen, um die verborgenen Geheimnisse der Natur zu entschlüsseln und für eine neue Generation der Unternehmensführung nutzbar zu machen. Eine Generation an Unternehmen, die sich die unumstößlichen Naturprinzipien aller lebenden Systeme zu eigen macht, um bessere Organisationen zu schaffen – und zwar für Mensch und Natur.

Denn jedes System, dass sich nicht im Einklang mit seiner Umwelt befindet, wird früher oder später vergehen. Und das gilt es für jedes lebende System, auch Organisationen tunlichst zu vermeiden.

P.S.: Ich biete Organisationsentwicklung auf Basis moderner Organisationsbionik an, um unternehmerische Herausforderungen zu lösen. Mehr dazu hier: Home

Literaturhinweise

[1] A. von Geich, C.Pade, I. Petschow, E. Pissarskoi (2007) Bionik: Aktuelle Trends und zukünftige Potentiale
[2] https://rp-online.de/leben/beruf/was-manager-von-woelfen-lernen-koennen_aid-11304637
[3] D.C. Bennet (1995): Darwins’s dangerous idea [Link] http://www.inf.fu-berlin.de/lehre/pmo/eng/Dennett-Darwin’sDangerousIdea.pdf
[4] S. Beer (1995): Brain of the firm
[5] M. Pfiffner: Die dritte Dimension des Organisierens: Steuerung und Kommunikation
[6] Luhmann, Baecker (2017): Einführung in die Systemtheroie
[7] D. M. Rodríguez, J. N. Torres:  Autopoiesis, die Einheit einer Differenz: Luhmann und Maturana; abrufbar unter: https://publications.iai.spk-berlin.de/servlets/MCRFileNodeServlet/Document_derivate_00001130/BIA_116_079_108.pdf
[8] H. Maturana, F.J. Varela (1980): Autopoiesis and Cognition
[9] H. Haken, G. Schiepek (2010): Synergetik in der Psychologie: Selbstorganisation verstehen und gestalten
[10] N. Pfläging, S. Hermann (2020): Zellstruktur-Design
[11] https://corporate-rebels.com/progressive-organizational-structures/
[12] C. Dachs (2021) Viable Project Business – A bionic Management System for Large Enterprises
[13] C. Dachs, Moritz Hornung (2021): Zellkultur – Ein Business-Roman über bionisches Organisationsdesign [mehr dazu hier: business-surivalist.com/zellkultur-business-roman]
[14] C. Dachs (2022): Autopoiesis

Wirksames Verändern von Organisationen

Zusammenfassung für eilige Leser
Veränderungen wirksam umzusetzen ist eine der am häufigsten genannten Herausforderungen von Organisationen. Die schlechte Nachricht ist: Ja es ist schwierig. Ihr Gelingen ist nicht gesichert und zudem dauert es meist länger als sich eine Organisation erhofft – oder sich eingestehen will. Jedoch können wir aus der Natur lernen, worauf es ankommt adaptive Organisationen zu gestalten, die mit Veränderung effizienter umgehen, als wenn diese Abläufe nicht in der Organisation verankert sind.

Der Ausbruch von Covid-19 hat unser aller Leben verändert, wie selten ein Ereignis in den letzten Jahren zuvor. Es hat nicht nur unser Leben verändert, sondern das nahezu aller Menschen auf diesem blauen Planeten. Nicht nur das Maß der Veränderungen ist beeindruckend, sondern auch die Frage, ob diese Veränderungen überhaupt wieder rückgängig gemacht werden können. Und wenn ja, wie lange wird das dauern und wird es permanente Spuren auf den verschiedenen Ebenen sozialer Organisationen hinterlassen: Uns selbst, unserer Familie und engen Bekannten oder ganzer Gesellschaften? Wenn das nicht wirksame Veränderung war, wie sie sich jeder CEO, Firmeninhaber und Organisationsberater wünscht, was dann? Eike Wagner mir vor einiger Zeit die Frage gestellt, „Wie, geht wirksames Verändern wirklich?“ Angesichts der galoppierenden und beeindruckend wirksamen Veränderung um uns herum waren die Osterfeiertage daher ein guter Zeitpunkt, diese Fragestellung zu reflektieren.

Was ist wirksame Veränderung?

In meinem letzten Artikel habe ich über die begrenzten Möglichkeiten des Menschen geschrieben, mit Komplexität umzugehen oder gar „die Wirklichkeit“ wahrzunehmen. Daher beginne ich diesen Artikel mit einigen Definitionen, die aus meiner ganz persönlichen Kombination aus Wahrnehmung und Verarbeitung konstruiert sind und insbesondere die Schlüsse begründen, die ich aus meinen Überlegungen ziehe.

Veränderung

In meiner Welt sind Organisationen besondere Formen lebender Organismen. Sie funktionieren physiologisch wie andere Lebewesen jedoch mit einer besonderen Anatomie. Anstelle von Molekülen, Proteinen, Zellen und Organen treten Rollen, Arbeitsumgebungen, Teams und Abteilungen. Ein Organismus funktioniert dann anders, wenn er ein anderes Verhalten zeigt und andere Eigenschaften besitzt. Diese Veränderung geschieht stetig in kleinsten Sprüngen. Jeder von uns ist in diesem Moment bereits anders als noch vor einer Minute. Da wir kontinuierlich unsere Umwelt wahrnehmen und uns daraufhin adaptieren, ist Veränderung in einem lebenden System immanent. Jede unserer Handlungen koppelt auf uns zurück und beeinflusst, wie wir in Zukunft funktionieren. Jeder Atemzug, den wir tun, beeinflusst die Zusammensetzung der Atmosphäre in Bezug auf seinen Gehalt an Sauerstoff und Kohlendioxid. Wir stehen im dauerhaften Austausch mit unserer Umwelt und verändern uns wechselseitig – ausnahmslos!

Veränderung geht aus Verhalten hervor

Doch diese natürliche Veränderung meinen wir häufig gerade nicht, wenn wir über Unternehmensentwicklung sprechen. Im Organisationskontext scheint ja, dass diese Mechanismen nur unzureichend zu langsam oder in die falsche Richtung verlaufen, um mit der Veränderung der Umwelt mitzuhalten. Weshalb sonst beauftragen Unternehmen externe Berater, um das Thema Veränderung endlich in den Griff zu bekommen? Wenn ich über Veränderung spreche, meine ich jedoch genau diese Fähigkeit, sich kontinuierlich zu adaptieren. Es geht darum, dass Organisationen sich morgen dauerhaft anders verhalten als heute als Ergebnis eines Wahrnehmungs- und Entscheidungsprozesses.

Ich bin überzeugt: Nur aus dauerhaft verändertem Verhalten folgen dauerhaft veränderte Ergebnisse. Deshalb bedeutet Veränderung für mich, Organisationen mit Wirkungskreisläufen auszustatten, die genau dieses Verhalten ermöglichen.

Veränderte Ergebnisse entstehen durch verändertes Verhalten

Veränderung bedeutet also dauerhaft anderes Verhalten auszudrücken, um dauerhaft andere Ergebnisse zu erzielen. Da Menschen zumindest noch einen nicht untergeordneten Teil des Organisationsverhaltens prägen, heißt das: Veränderung ist es, wenn Menschen morgen anders arbeiten als heute. Und weil sie anders arbeiten, erzielen sie in Folge andere Ergebnisse. Diese Ergebnisse sind es ja, weshalb man sich zur Veränderung entschieden hat: weil man schneller, effizienter, innovativer oder in welcher Art und Weise anders sein möchte.
Verabschieden wir uns von dem fundamentalen Irrtum, dass Veränderung in großen Hau-Ruck und Einmalprojekten gemeistert werden. Denn Veränderung in lebenden Systemen ist etwas Kontinuierliches und wird nicht durch lang geplante Innovationen erzeugt.

Blicken wir auf die aktuellen Ereignisse rund um die Corona-Pandemie, wird dieses Prinzip offensichtlich: Nur wenn jeder sein Verhalten ändert und sich isoliert soziale Kontakte auf ein Minimum senkt und zudem diverse Hygienehinweise ernster nimmt, erhofft man sich, dass die Ansteckungsrate sinkt. Unser verändertes Verhalten erzeugt systemisch gesehen also ein verändertes Ergebnis.

Veränderung bedeutet für mich also verändertes Verhalten der beteiligten Menschen (und Systeme, falls diese ebenfalls beobachtbares Verhalten zeigen bspw. Algorithmen, neuronale Netze etc.). Die Frage ist nur, was führt dazu, dass wir unser Verhalten wirksam ändern?

Wirksamkeit

Spannend an Eikes Fragen war für mich das Wort wirksam. Denn Wirksamkeit ist für mich erst einmal etwas Neutrales. Wirksamkeit ist weder positiv noch negativ. Ich kann eine Organisation durch rigides und rücksichtloses Führungsverhalten verändern, und zwar wirksam. Ganz aktuell sehen wir auch: Man kann drakonische Strafen einführen, um Leute vor dem Verlassen ihrer Wohnung abzuhalten – und zwar wirksam.
Ich gehe aber davon aus, dass genau diese Wirksamkeit nicht gemeint ist, gerade wenn wir über eine positiv konnotierte Anpassungsfähigkeit von Organisationen sprechen. Doch wer oder was legt den Maßstab für diese Wirksamkeit fest? Sind es die finanziellen Kennzahlen, die wichtigsten Stakeholder, der Vorstand oder gar die Aktionäre? Wann also ist eine Veränderung wirksam?

Wirksamkeit und der Organisationszweck

Ich orientiere Wirksamkeit an keiner dieser Instanzen, sondern setze eine Maßnahme in Bezug zum Organisationszweck. Wenn ich vom Organisationszweck spreche, dann adressiere ich nichts, was man neumodisch mit „Purpose“ oder „Why“ bezeichnet. Ich spreche davon, als Organisation nur weiter zu existieren. Und dazu benötige ich als Organisation Wachstum [1]. In unserem Universum ist es einfach naturgesetzlich notwendig, immer zu wachsen, um den Erhalt eigener Strukturen zu gewährleisten. Nichts, was in unserem Universum existiert, ist dauerhaft, insofern es nicht kontinuierlich erneuert und erzeugt wird. Daher ist für mich der Primärzweck von Organisation erst einmal sich selbst zu erhalten. Organisationen bestehen einfach nur, um sich selbst zu erzeugen, wie es autopoietische Systeme alle tun. „The purpose of a system is what it does“ sagte treffend bereits der Kybernetiker Stafford Beer [2], und das ganz ohne Begründung, sprich ohne „Why“.

Wirksamkeit ist für mich daher eine Einordnung in Bezug auf diesen Primärzweck. Ist eine Veränderung zweckkonform, führte diese also zu einer Unterstützung des Wachstums des Systems (z. B. Erhöhung der Effizienz, Begrenzung von Verlusten, schnellerer Zugang zu Ressourcen, Reduktion von Durchlaufzeiten, optimaler Einsatz von Mitteln) ist er wirksam. Insbesondere die Dauerhaftigkeit sind hier maßgebliche Eigenschaften, die für mich Wirksamkeit bedingen. Verwechseln dürfen wir das aber nicht mit der häufig gewünschten „Selbsthaltung“. Denn dieser Begriff lässt vermuten, dass es Dinge gibt, die ohne Aufwand (also energieneutral) einfach funktionieren. So etwas gibt es in unserem Universum nicht! Wenn Eigenschaften und Verhalten selbsthaltend sind, bedeutet dies nur, dass sie dauerhaft von der Organisation unter Aufwand von Energie und Ressourcen erzeugt werden, ohne dass dafür eine explizite Entscheidung notwendig ist.

Das Wachstum, die einzige Messlatte ist, mag unversöhnlich und kalt klingen. Doch dürfen wir nie vergessen, dass ein lebender Organismus in erster Linie daran interessiert ist, sich selbst am Leben zu halten. Glücklicherweise ergeben sich auch daraus eine Reihe von positiven Implikationen für die beteiligten Menschen in einer Organisation, wie wir noch im Laufe des Artikels erfahren werden.

Wirksamkeit ist für mich eine Veränderung also dann, wenn sie eine dauerhafte Auswirkung auf den primären Organisationszweck (Wachstum) hat – im Guten wie im Schlechten.

Das Verhalten lebender Systeme

Leben ist immer und immer wieder das gleich zu tun

Physikalisch gesehen ist Leben die Verringerung von Entropie (ein Maß für die Unordnung), sprich das Schaffen und Erhalten von Ordnung und Struktur. Denn nur aus Ordnung gehen anschlussfähige Abläufe hervor, die einen Stoffwechsel bedingen können. Die Auflösung von Ordnung, sprich Chaos bedeutet, dass sich wiederholende anschlussfähige Abläufe nicht ausprägen. Und genau dieses Aufhören von Abläufen ist biologisch gesprochen der Tod eines lebenden Systems.

Gerade in der durch COVID-19 erzeugten Wirtschaftskrise, sehen wir, was geschieht, wenn essenzielle Kreisläufe in lebenden Systemen einfach unterbrochen werden: Geschäfte schließen, Kunden bleiben aus, Austausch findet nicht mehr statt und notwendige Ressourcenströme (Geld) kommen zum Erliegen. Es ist ein wenig wie untergetaucht zu werden. Man muss ungewollt die Luft anhalten. Das geht eine Zeit lang gut, aber irgendwann sind die Ressourcen (Sauerstoff) aufgebraucht und vitale Prozesse verlangsamen sich. Findet sich keine Alternative, kommt irgendwann das gesamte System oder Teile in ihm zum Stillstand.

Lebensfähigkeit entsteht aus der Beziehung von Dingen zueinander

Vermutlich haben sie sich schon gefragt, wie ich gerade zu diesem Beitragsbild gekommen bin. Der unglückliche Frosch im Bild besteht aus Molekülen, die für sich alleine keine Lebensfähigkeit besitzen. Moleküle bilden erst durch ihre Beziehung zueinander und die daraus folgenden Kreisläufe einen lebenden Organismus. Denn das rechte Bild zeigt ebenfalls den Frosch: Denn die Anzahl der Moleküle und ihre Zusammensetzung ist absolut unverändert. Der Unterschied liegt im Zusammenspiel zwischen ihnen, denn ihre Ordnung ist verloren gegangen. Die notwendigen Beziehungen zwischen den Systemelementen sind zerstört, die anschlussfähige Abläufe erzeugt haben, die wir Leben nennen.
Veränderung muss also geschehen, indem wir die Beziehungen zwischen Systemelementen beeinflussen.

Veränderung bezieht sich in meiner Wahrnehmung also weniger auf die Dinge selbst: Sprich die Menschen Werkzeuge, Gegenstände als ihre Beziehung zueinander. Sicherlich kann ich zum Zwecke der Veränderung ein neues Software-Werkzeug in einer Organisation einführen. Aber das Werkzeug selbst verändert nichts! Es selbst tut nichts und erzeugt auch keine Dynamik. Das Software-Tool sind die teuren Laufschuhe im Regal, die ohne regelmäßige Nutzung nichts erzeugen – im besten Fall erzeugen sie vielleicht ein schlechtes Gewissen. Erst wenn dieses neue Element Teil der bestehenden Prozesse wird, indem es beispielsweise meine Wirk- und Arbeitsumgebung verändert, wirkt es sich auf das Verhalten der Menschen aus. Und verändertes Verhalten erzeugt veränderte Ergebnisse. Leben entsteht also nicht durch das Vorhandensein von Dingen (Anatomie), sondern durch die Systemdynamik zwischen den Dingen (Physiologie).

Die Erzeugung von Organisationsverhalten

Organisationsverhalten ist die sich wiederholende Abfolge von anschlussfähigen Prozessen [3]. Das Ergebnis der Prozesse als auch ihre Effizienz wird durch die bestehende Arbeitsumgebung beeinflusst oder gar determiniert. Arbeitsumgebungen sind multi-faktorielle Wirkungsumgebungen, die einerseits aus expliziten Faktoren bestehen (Arbeitsgeräte, Prozessanweisungen, Werkzeuge, Prinzipien, Verhaltensrichtlinien), aber auch durch implizite Faktoren wie der „Unternehmenskultur“. Auch die handelnden Personen selbst bringen einen Teil der Arbeitsumgebung mit (Motivation, Know-how, Gesundheitszustand, Konzentration etc.). Gemeinsam ist all diesen Faktoren, dass die Organisation sie beim „prozessieren“ nicht verbraucht, sondern wiederholt verwendet kann. Fehlen sie jedoch, wird die Effizienz und das Ergebnis eines Prozesses deutlich schlechter ausfallen. Denn das beobachtbare Verhalten, welches das Ergebnis bedingt, wird durch diese Faktoren maßgeblich beeinflusst.

Optimalere Arbeitsbedingungen erzeugen optimalere Ergebnisse

Aus meiner Sicht ist der zentrale Dreh- und Angelpunkt von Veränderungsbestrebungen in Organisationen es immer und ausnahmslos ist, die eigenen Reaktions- bzw. Arbeitsumgebung für bestimmte zugrunde liegenden Prozesse zu verbessern. Denn aus einer verbesserten Arbeitsumgebung erzeugt die Organisation voraussichtlich ein vorteilhafteres Verhalten. Und verändertes Verhalten erzeugt veränderte, hoffentlich verbesserte Ergebnisse. Mein Artikel über die Katalyse beschreibt, weshalb dieses Wirkungsprinzip fundamental wichtig ist. Reflektieren wir dieses Bestreben nach optimalen Ausgangsbedingungen für jeden erdenklichen Unternehmensprozess, gibt es Faktoren, die nicht prozessspezifisch, sondern generell wirken, wie z. B. die Unternehmenskultur. Wenn wir also an „soften“ Faktoren arbeiten, um unsere Lebensfähigkeit als Organisation zu erhöhen – also aus ganz egoistischen Gründen – ist das eine Win-Win-Situation für System (Organisation) und seine Mitarbeiter.

Die Systemumgebung beeinflusst das Verhalten der Menschen

Indem wir die Wirkungsumgebung innerhalb der Organisation für diverse Prozesse bewusst verändern, vermuten wir eine bestimmte Auswirkung auf das Verhalten der beteiligten Akteure. Wir verändern also weniger das Verhalten der Menschen selbst als Parameter des Systems, die dazu führen, welches Verhalten sich einstellt.

Der Grund, weshalb sie gerade zu Hause sitzen, anstelle ihrer Freude zu einem Grillfest einzuladen, ist nicht, weil ihre Regierung ihr Verhalten geändert hat. Sie haben Ihr Verhalten geändert, da die Faktoren ihrer Umwelt zu einer veränderten Bewertung ihres Verhaltens in Ihnen geführt haben. Physikalisch hindert sie nichts daran, das geplante Grillfest im Freundeskreis zu organisieren. Sie können sich nach wie vor dafür entscheiden. Der Unterschied ist, dass ihr gewünschtes Ergebnis (saftige Steaks, kühles Bier, eine schöne, gesellige Zeit) weniger wahrscheinlich und zudem einige negative Nebeneffekte deutlich wahrscheinlicher geworden sind (Absagen, Ärger mit den Nachbarn, Konflikt mit Gesetz).

Keine „best practices“,sondern „fit practices“

Meine zentrale Annahme ist [1]: Eine „perfekte“ Arbeitsumgebung katalysiert den zugehörigen Prozess mit maximaler Geschwindigkeit und Effizienz ablaufen. Das Ganze hat jedoch einen Haken: Diese „Perfektion“ kann jedoch immer nur ein temporärer und flüchtiger Zustand sein. Das liegt in der eingangs beschriebenen Veränderung von lebenden Systemen: nicht nur wir, auch Organisationen, Gesellschaften, ja das ganze System Menschheit verändert sich kontinuierlich. Von daher kann eine heutige „Best Practice“ morgen schon nicht mehr die beste Art und Weise, sondern nur noch eine gute Herangehensweise sein.

Dieses sich ständig veränderte Optimum orientiert sich wiederum am Organisationszweck – dem Erzeugen von Wachstum. Ist heute eine Art und Weise Dinge zu tun (Verhalten) hinreichend passend, um das Wachstum der Organisation innerhalb ihrer Umwelt zu sichern, ist sie „fit“. Sie erfüllt ihren Zweck zumindest hinreichend gut.Ist sie das nicht mehr, dann liefert sie keinen ausreichenden Beitrag zur Überlebensfähigkeit mehr und muss adaptiert werden. Denn auch bei Organisationen geht es nur darum, für jede aufgewandte Ressource mehr Ressourcen aus der Umwelt zu bekommen. Für jeden ausgegebenen „Fitness-Punkt“ mehr „Fitness-Punkte“ zurückzubekommen. Denn dieses Anhäufen von Ressourcen und die Strukturierung der Ressourcen ist es, was Wachstum bedeutet.

Wir werden also niemals wissen, ob es eine „Best Practice“, sprich eine optimale Option unter allen anderen Möglichkeiten überhaupt gibt. Wir können nur feststellen, ob etwas ausreichend passend ist, um einen Beitrag zur Lebensfähigkeit zu liefern.

Verhalten wirksam zu ändern beginnt in der Organisations-DNS

Um dauerhaft ausreichend „fit“ zu sein, müssen lebende Organisationen dauerhaft in der Lage sein, optimale Wirkungsbedingungen aus ihrer DNS (der genetische Code) zu erstellen. Diese DNS umfasst explizites niedergeschriebenes Wissen über Prozesse und Abläufe, aber auch implizite Muster wie Kultur und Werte. Ich sehe diese „DNS der Organisation“ als relativ stabiles Grundgerüst an, mit dem wir in der Veränderung arbeiten müssen.

Der Nutzen der DNS ist es evolutionär gesehen gerade die Stabilität gegenüber externen Einflüssen und spontanen Mutationen. Diese Stabilität erlaubt es erst mit hoher Zuverlässigkeit katalysierende Arbeitsumgebungen zu schaffen, die dann effizient in der Lage sind, die gewünschten Ergebnisse zu produzieren. Die Beharrungskräfte von Unternehmen ihren bekannten Mustern zu folgen, ist daher ein Ärgernis für den Veränderer, doch zugleich auch ein Zeichen für die Zuverlässigkeit, mit der Organisationen sich selbst erneuern.

In der belebten Natur werden aus diesem stabilen Gen-Code regelmäßig temporäre, weniger stabile, aber lesbare Kopien (RNS) erzeugt. Aus diesen Kopien werden dann Prozess-Beschleuniger (Katalysatoren) geschaffen. Diese Beschleuniger sind unsere Wirkungs- und Arbeitsumgebungen. Diese temporären Kopien sind für mich das Wissen und die Kompetenzen der Mitarbeiter, die Teile dieses genetischen Organisationscodes enthalten. Enthält der genetische Code des Unternehmens eine Beschreibung, wie etwas zu tun ist und wird ein Mitarbeiter darin geschult, besitzt er eine „temporäre Kopie“ dieses Prozesses in seinem Gedächtnis. Führt er den Prozess dann aus, wird er auf diese temporäre Kopie zurückgreifen und nicht auf das Original.Weshalb diese bionische Analogie für Veränderung sehr relevant ist, zeige ich an zwei typischen Beispielen aus dem Organisationsalltag:

Beispiel 1 – Das Standarddokument

Ihr Organisation hat einen bestehenden Prozess, der nur dann reibungslos funktioniert, wenn für einen Prozess eine Anzahl an Informationen übergeben wird. Dazu wird ein Dokument verwendet, dass die benötigten Informationen abfragen. Da es dokumentiertes Wissen enthält, würde ich sagen, es ist Teil der DNS. Idealerweise zieht der Nutzer jedes Mal den aktuellen Standard und erzeugt eine temporäre Kopie, die damit Teil seiner Arbeitsumgebung wird. Würde er den Prozess ohne diesen Faktor anstoßen, wird die Arbeitsumgebung für diesen Ablauf deutlich schlechter werden, da bspw. Informationen fehlen und die Weiterverwendung komplizierter wird. Möchte die Organisation dieses Dokument jetzt ändern, kann sie das problemlos an der DNS tun, sie wissen ja wo es dokumentiert ist. Leider haben mittlerweile diverse Nutzer eigene „fest Kopien“, die wieder und wieder verwendet werden, anstelle den Standard zu bemühen. Diese Kopien werden ihrer Änderung nicht folgen, wodurch sich auch keine veränderte Arbeitsumgebung und kein verändertes Verhalten ergibt.

Dauerhafte Veränderung setzt also voraus, dass die Unternehmens DNS geändert wird. Es ist aber ebenso zwingend nötig, dass diese regelmäßig ausgedrückt wird, ansonsten wirkt sie nicht. Im Umkehrschluss muss den Mitarbeitern aber bewusst werden, dass ihr Prozesswissen und persönliche Dateiablage nur temporäre Kopien sind, die notwendige Veränderung ebenso behindern können.

Beispiel 2 – Ungeschriebene Gesetze

Daniel kommt neu ins Unternehmen und kennt die Gepflogenheiten nicht. In seiner neuen Abteilung war es bisher normal, dass jeder seine Angebote einzeln vorbereitete und später vom Chef Michael absegnen lässt. Da niemand sich die Mühe macht, dem neuen Kollegen mitzuteilen, wie Dinge wirklich funktionieren und es auch nirgends nachzulesen ist, tut er die Dinge, wie er es kennt. Daniel konsultiert also diverse Kollegen und öffnet neue Kommunikationskanäle zu anderen Abteilungen, die bisher immer außen vorgelassen wurden. Er berücksichtigt deutlich mehr Stakeholder-Interessen jedoch auf Kosten der Angebotseffizienz – es dauert einfach länger. Da Daniel offiziell bevollmächtigt ist, erstellte Angebote zu signieren, tut er das, ohne dem ungeschriebenen Gesetz der Vorgesetztenentlastung zu entsprechen.

Daniel verändert damit die Arbeitsumgebung (es fließen andere Informationen, ein neues Prozesswissen) und den Ablauf unabhängig von der Unternehmens-DNS. Daniels verändertes verhalten erzeugt ein verändertes Ergebnis. Es entstehen mehr Kosten, doch ist sein Ergebnis für diverse Folgeprozesse vorteilhafter, sollte es zu einem Auftrag kommen. Diese Veränderung ist wirksam im Sinne des geänderten Verhaltens, aber sie ist nicht stabil. Verlässt der Daniel das Unternehmen, ist anzunehmen, dass die Unternehmens-DNS wieder das bisherige Verhalten erzeugt, egal ob diese Veränderungen nun positiv waren oder nicht.

Diese zufällige Mutation des Verhaltens wird daher nicht von Dauer sein. Denn es ist anzunehmen, dass die stabile Unternehmens-DNS diese langfristig wieder auf den ursprünglichen Zustand zurückführen wird.

Wie also verändern wir lebende Organisationen wirksam?

Zusammenfassend ergeben sich aus diesen Überlegungen einige Anhaltspunkte für die erfolgreiche (im Sinne von wirksamer) Veränderungsarbeit mit Organisationen:

  • Leben ist von Stabilität abhängig. Trotz der bunten, mannigfaltigen und schier unendlichen Vielfalt funktioniert alles Leben im Kern sehr zuverlässig und indem es dafür sorgt, dass Mutationen nur sehr begrenzt vorkommen. Bei aller Innovationsfreude und dem Drang nach Neuem sollte man nie vergessen: Ihre Kunden kaufen bei ihrem Unternehmen nicht, weil sie spontan etwas ganz anderes tun als bisher, sondern weil sie kontinuierlich wiederholt zuverlässig die gewünschten Ergebnisse produzieren. Diesen Umstand bezeichnet man gemeinhin auch als Qualität. Die Stabilität der Unternehmens-DNS ist daher weder gut noch schlecht, aber zumindest ein notwendiger Bestandteil, Leben zu ermöglichen. Positiv gesehen sind auch wirksam eingebrachte Veränderungen in Folge langzeitstabil.

  • Die Organisation-DNS besteht häufig aus impliziten und expliziten Bestandteilen. Es ist ein schmaler Grat zwischen Überregulation und Laisser-faire (manchmal auch mit Agilität verwechselt …) Im Umgang mit Regeln, Richtlinien und Prozessen. Jedoch sollte es das Ziel jeder Organisation sein, ihre DNS explizit und begreifbar zu machen. Zu einer Organisations-DNS gehören gewolltes, dokumentiertes und langzeitstabiles Wissen, Prinzipien, Leitfäden und im Alltagsgeschäft hilfreiche Vorgehensweisen. Also weitaus mehr als nur ein Proforma-Dokument, um die ISO 9001 zu erhalten. Es ist notwendig, klar zu machen, dass beabsichtigte Veränderungen nur dann dauerhaft wirksam werden, wenn die Organisations-DNS geändert wird. Standards sind wo nötig zu von allen Beteiligten setzen und halten. Erst wenn dies gelingt, macht es Sinn, die DNS in die gewünschte Richtung zu verändern, da dies ansonsten nicht möglich ist.

  • Veränderung in lebenden Systemen geschieht kontinuierlich. In Organisationen beobachten wir hingegen häufig eine sprunghafte Veränderung. Spontane ereignis-getriggerte Wahrnehmung und Situationsanalyse und ebenso wenige große einmalige Veränderungsbestrebungen. Diese Art „Veränderungsinkremente“ genauso zuverlässig zu erzeugen wie die hauseigenen Produkte, ist das Ziel einer lebenden Organisation. Hierfür schaffen wir Strukturen, die einerseits die nötige Wahrnehmung erzeugen und zudem über die gesamte Organisation hinweg dauerhaft und regelmäßig Veränderungen generieren. Das bedeutet jedoch auch Veränderungen erzeugen benötigt dauerhaft Ressourcen. Da Strukturen regelmäßig erneuter werden, müssen (bspw. durch Training, Dokumentation) ist dieses Vorhaben niemals abgeschlossen. Ein Tatbestand, der gerade Managern oft Kopfzerbrechen bereitet, aber zwingend logisch ist.

  • Das Verhalten der Organisation geht aus der Beziehung ihrer Elemente hervor. Häufig sind berichtete Probleme meiner Kunden streng genommen einfach logische Ergebnisse, – wenn auch Ungewünschte. Analysiert man diese problematischen Ergebnisse dann unter systemischen Aspekten und macht die Arbeitsumgebung transparent, wird offensichtlich, dass ein problematisches Verhalten einfach nur folgerichtig ist. Das Verhalten ist schlicht und einfach die Folge von ungünstigen Anreizsystemen, fehlendem Wissen für übergeordnete Zusammenhänge oder anderen nachteiligen Einflussfaktoren. Von daher beginnen wir Veränderungsbestrebungen am besten ganzheitlich, um überhaupt in der Lage zu sein, komplette Wertschöpfungsströme von einem bis zum anderen Ende verbessern zu können. Das größte Übel von Veränderungsbestrebungen ist die Begrenzung aufs lokale. Denn häufig führen übergeordnete Faktoren dazu, unerwünschtes Verhalten zu erzeugen und wenn man diese nicht verändern kann, drehen sich Change-Initiativen im Kreis.

Danke fürs Lesen, bleibt gesund!

Literaturhinweise und Buchempfehlungen

[1] Dachs, Clemens (2020): Viable Project Business
[2] Beer, Stafford (1995): Brain of the firm. 2. ed., reprinted. Chichester: John Wiley & Sons (The managerial cybernetics of organization).
[3] Simon, Fritz B. (2018): Einführung in die systemische Organisationstheorie. 6. Auflage. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme Verlag (Carl-Auer compact)

Bionische Analogien zur Gestaltung lebender Organisationen

Zusammenfassung für eilige Leser
Um Organisationen nach den Vorbildern von Lebewesen zu gestalten ist es nötig, sich an den Bauplänen der Biologie zu bedienen. Durch bionische Übertragung biologischer Gesetzmäßigkeiten auf soziale Organisationen stellt sich die Frage, ob diese Übertragungen überhaupt zulässig sind. Diese Frage beantworte ich im Artikel mit „Ja“, da biologische und soziale Systeme eine grundlegende Gemeinsamkeit teilen: Sie laufen nach statistischen Gesetzmäßigkeiten ab. Diese statistische Natur ist gleichermaßen das Unterscheidungsmerkmal von unbelebten zu belebten Systemen.

Den Aufruf moderne Organisationen wie lebende Organismen zu gestalten vernimmt man immer häufiger. Mit einem solchen Bild vor Augen werden häufig agile, selbstorganisierte Organisationen assoziiert, die sich durch eine dezentralere Entscheidungsfindung und den Abbau Hierarchien auszeichnen. Eine Organisation, die gefühlt flüssiger, weniger starr – eben organischer anmutet. Und damit stehen sie ganz im Gegensatz zu den tayloristischen Unternehmensgefügen des 20. Jahrhunderts. Ich frage mich daher, was denn genau das „Organische“ an diesen Ansätzen ist, als Gegenpol zum – „Anorganischen“, das offenbar ausgediente Organisationsformen anhaftet. Wie genau können diese neuen lebenden Organisationsform aussehen?

Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, beginnt die Suche ganz nahe liegend in der Biologie – der wissenschaftlichen Heimat alles Lebenden. Bevor man jedoch beginnt sich lebende Vorbilder für unsere Organisation zu suchen, stellt sich eine viel grundlegendere Frage: Ist es überhaupt zulässig Analogien aus biologischen Vorbildern zu ziehen? Können wir überhaupt biologische Systeme auf soziale Systeme übertragen?

Der bionische Blick in die Blaupausen des Lebens

Sobald wir von der Natur lernen möchten, betreten wir das Spielfeld einer der bekanntesten Analogiemethoden – der Bionik. Der Reiz sich an den Errungenschaften der Schöpfung zu orientieren liegt auf der Hand: Die Ergebnisse der Evolution, ob wir nun über Lebewesen oder ganze Ökosysteme sprechen, haben allesamt einen unvergleichlichen Optimierungsprozess durchlaufen. Jedes Lebewesen wurde durch unzählige „Trail and Error“-Versuche zu nahezu vollkommener Perfektion gebracht. Möchten wir uns zur Gestaltung unserer Organisation in diesem beispiellosen Fundus bedienen, können wir dies auf dreierlei Weise tun:

  • Zu aller erst können wir uns konkrete Ergebnisse der Evolution zum Vorbild nehmen. Dieser bionische Blick hat uns bereits Reißverschlüsse, Tragflächen oder auch mit Lotus-Effekt beschichtete Dachziegel beschert.
  • Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass wir uns am Prozess der Evolution selbst bedienen. Hierbei geht es darum die Optimierungsverfahren selbst, die zu den Ergebnissen der Schöpfung geführt haben für unsere Zwecke nutzbar zu machen. Nutzbare Anwendungen dieser bionischen Form des Lernens finden wir heute in Form von Algorithmen, die biologische Wachstumsregeln oder Populationen und deren Selektion simulieren.
  • Der dritte Weg ist die Übertragung von grundlegenden Prinzipien der belebten Natur. Dies sind beispielsweise das Übertragen von Selbstorganisation, Adaptivität oder Modularität, die in vielerlei Form in der Natur beobachtet werden können [2][4].

Um zu operationalisierbaren Ansätzen zur Gestaltung von Organisationen zu gelangen, bietet sich aus meiner Sicht insbesondere der dritte Weg an: Das Übertragen natürlicher Erfolgsprinzipien. Die bisherigen systemtheoretischen Ansätze der Kybernetik, wie das Viable System Model (VSM) von Stafford Beer, autopoetische Systeme nach Maturana und Varela bis hin zur Luhmannschen Theorie sozialer Systeme orientiert sich auf diese Weise an der Natur. Das VSM stellt hierbei womöglich einen Hybriden zwischen den bionischen Ansätzen dar, da es sich zudem am gegenständlichen Aufbau eines Nervensystems orientiert und damit auch den ersten Weg der Analogienfindung beschreitet [1]. Auch sind viele agile Organisationsansätze der letzten Jahre wie „Fail-fast“, oder das Verändern in „Experimenten“ anstelle geplanter Vorhaben, ein Abbild des evolutionären Prozesses.

Eine grundlegende Herausforderung bei der bionischen Übertragung auf andere Bereiche ist die Überlegung, inwiefern die gefundene Analogie zulässig ist? Von einem biologischen System kommend stellt sich die Frage, ob soziale Systeme ausreichend ähnlich sind, um vom einen auf das andere zu schließen? Dieser Frage kommt insbesondere eine große Bedeutung zu, wenn man sich, so wie meine Kollegen mit einem unüblichen Beobachtungsobjekt beschäftigt. Zur Definition unseres bionischen Organisation-Systems übertragen wir den kleinsten gemeinsamen Nenner alles Lebenden: Die Zelle.
Warum das eine so bestechende Wahl ist, habe ich in einem meiner früheren Artikel erläutert.

Durch unsere Wahl die Zelle als Baustein lebender Systeme zu übertragen, befinden wir uns in der Sphäre der Molekularbiologie. Doch gerade die Wissenschaft der Molekularbiologie operiert in einem spannenden Grenzbereich der Biologie: Sie ist das Bindeglied zwischen der Welt des Unbelebten (Anorganischen) und der Welt des Lebenden (Organischen). Denn obwohl die Molekularbiologie auf den mechanistischen Grundgesetzen der Physik und Chemie basiert, ist das was sie letztendlich hervorbringt das Phänomen des Lebens. Und dieses Leben – das nehme ich gleich vorneweg – ist alles andere als deterministisch, wie Physik und Chemie es sind.

Vom Unbelebtem zum Lebenden

Doch wie kann das sein, dass ein molekularbiologisches System, das auf den kausalen Regeln der Physik basiert, nicht selbst nach rein kausalen Zusammenhängen funktioniert?
Denn mit physikalischen und chemischen Naturgesetzen ist das so eine Sache: Was auch immer passiert es ist vorherbestimmt. Physikalische und chemische Gesetze beschreiben klipp und klar das Zusammenspiel von Materie und Energie:  Werfe ich einen Stein, kann ich dessen Flugbahn, Aufprallkraft und beliebige andere Größen berechnen. Alle Zusammenhänge sind vorhersagbar und werden immer genauer je mehr physikalische Größen ich dabei berücksichtige, beginnend mit der Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit bis hin zum Strömungskoeffizienten des Steines. Das Gesamtsystem „geworfener Stein“ ist nämlich nur kompliziert, und es kann vollständig durch die Beschreibung seiner Einzelteile in seiner Gesamtheit erfasst werden.

Diese kausalen Zusammenhänge gelten auch für die zugrunde liegende Chemie der Zelle: Moleküle in einer Zelle besitzen eine physische Form, bewegen sich mit einer Geschwindigkeit und sind somit klar an die festen Gesetze von Zeit und Raum gebunden. Ihr physisches Fortkommen wird durch die Regeln der Diffusion beschreiben. Vergleichbar stringent verhält es sich mit den chemischen Reaktionen innerhalb der Zelle: Es ist klar festgelegt welche Moleküle, wie genau miteinander reagieren können und wie viel freie Energie hierfür nötig ist oder durch ihre Reaktion frei wird. In den physischen und chemischen Vorgängen gibt keinen Freiheitsgrad darüber wie das Ergebnis aussieht.

Angesichts dieser Tatsachen könnte man tatsächlich auf die Idee kommen, das alles Leben vorherbestimmt ist. Denn insofern eine Zelle nicht „mehr“ als einer Aneinanderreihung von chemischen Vorgängen ist bleibt sie in ihrer Summe kompliziert. Kein Freiheitsgrad würde erklären weshalb Leben so mannigfaltig, variantenreich und vor allem unvorhersehbar ist. Diese „physikalische“ Sicht der Welt würde das Phänomen Leben tatsächlich zu einer Maschine degradieren. Und zwar ganz im klassischen Sinne mit Zahnrädern, Wellen und Riemen – einem biologischen Apparat ohne Freiheitsgrad.

Die Welt der Physik und Chemie beschreibt das Verhältnis von Materie und Energie in Form natürlicher Gesetze: Energieerhaltung, Thermodynamik, Bindungskräfte und wie sie alle heißen. Die Naturgesetze geben klar vor, wie sich Moleküle „zu verhalten“ haben. Was die Naturgesetze hingegen nicht beschreiben ist die Information, die jedem Molekül dieses Universums innewohnt. Denn auch jedes unbelebte Molekül eines lebenden Systems transportiert für das System relevante Information. Information darüber wie es mit anderen Molekülen reagieren kann (chemische Komplementarität), als auch Informationen durch die Zusammensetzung von Molekülen [7]. Durch die Anordnung unbelebter Moleküle zueinander entsteht unser genetischer Code, der Information über die Bauweise und Funktionalität des Gesamtsystems enthält . Es ist daher die Grundlage alles Lebendigen, dass jedes Molekül einer Zelle Materie-, Energie- und Informationsträger zugleich ist.

Denn es gibt kein Naturgesetz das beschreibt, wie aus tausenden Molekülen bestehende Proteine zusammengesetzt werden. Genau diese für das Leben kritischen Information über den Bau aller höheren Strukturen der Zelle sind nicht von den physikalischen Gesetzen abgedeckt. Man könnte sagen, es interessiert die Physik und Chemie nicht, wie Zellen diese komplizierten Gebilde zusammensetzen oder in welcher prozessualen Abfolge sie chemische Reaktionen geschehen lässt. Zumindest solange nicht, solange Zellen sich dabei an die vereinbarten Spielregeln halten. Wir wissen bis heute nicht was dazu geführt hat, dass diese Information in der uns vorliegenden Form zueinander gefunden hat: Durch einen schöpferischen Akt, puren Zufall oder evolutionäre Entwicklung. Doch ist dieses auf Information basierende Zusammenspiel der Moleküle in einer Zelle die Ursache für die Komplexität des Systems. Denn anders als die chemischen Elementarprozesse folgen die Vorgänge der anorganischen Chemie keinen deterministischen Spielregeln mehr. Durch die Kopplung von tausenden von Molekülen zu biologischen Maschinen (Proteine) entsteht ein Grad an Komplexität der eine absolute Sicherheit ausschließt.

Stattdessen folgen die lebenserzeugenden Abläufe innerhalb von Zellen Wahrscheinlichkeiten: Bei der Interpretation der genetischen Information können Fehler passieren. Ein Ribosom kann beim Bau eines Proteins durchaus einmal eine strukturell ähnliche Aminosäure verbauen [3]. Obwohl bei diesen Abläufen Fehler passieren, ist nicht einmal zwingend gesagt, dass das Ergebnis absolut unbrauchbar ist. Organische Abläufe erzeugen Ergebnisse von defekt, vermindert in seiner Funktion bis hin zu schädlich für das Gesamtsystem. In Folge ist auch Zusammenspiel verschiedenster Signal- und Stoffwechselpfade, die alle nach statistischen Gegebenheiten ablaufen, kein festgelegtes Bühnenstück mehr. Stattdessen sind die Interaktionen und Abhängigkeiten zwar höchstwahrscheinlich, aber in letzter Instanz nicht mehr absolut sicher.

Doch das wirft ein Problem auf! Denn potentiell tödliche Fehler dürfen in den Abläufen nicht geschehen, oder das System geht zu Grunde. Damit ein System lebensfähig bleibt, ist es daher zwingend notwendig, dass die Wahrscheinlichkeit aller beteiligten Vorgänge ausreichend hoch ist. Und genau hier kommt die operationale Zuverlässigkeit ins Spiel. Eine hohe operationale Zuverlässigkeit der systemischen Abläufe ist auch das Bindeglied zu anderen lebenden Systemen – darunter auch sozialen Systemen.

Die Zuverlässigkeit des Zusammenspiels aller Elemente sorgen für die Funktionalität des Systems

Doch was genau meine ich mit der operationalen Zuverlässigkeit?          
Dieser Tatbestand findet sich bereits in der aus der Beobachtung des Lebenden hervorgegangenen Definition autopoetischer Systeme von Maturana und Varela [5]. Der Begriff autopoetische Systeme stammt aus dem Altgriechischn autos „selbst“ und poesis „schöpferische Tätigkeit“ . Diese Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihre eigene Organisation ständig selbst erzeugen. Organisation meint hier genau das Schaffen der benötigten Strukturen und Elemente des Systems, die im komplexen Zusammenwirken die Dynamik des Systems bedingen. In der Zelle sind das alle Moleküle und Proteine, die diese Zelle benötigt, um ihre unzähligen Stoffwechselpfade auszuführen. Maturana und Varela verwenden in diesem Kontext auch häufig den Begriff der autopoetischen Maschine.
Der Begriff Maschine ist für mich ein auffälliger Hinweis auf die operationale Zuverlässigkeit: Bei lebenden Systemen geht es darum dauerhaft, sich wiederholende Abläufe zu reproduzieren – und zwar mit hoher Qualität – eben zuverlässig. Eine Maschine ist nichts anderes als ein Werkzeug, das dazu geschaffen wurde, ein bestimmtes Produkt zu erzeugen – in diesem Fall eben sich selbst. Auch zeichnen sich Maschinen dadurch aus dies nicht nur manchmal, unvollständig oder fehlerhaft zu tun, sondern zuverlässig.   

Da Leben basiert also auf dem dauerhafte Reproduzieren von sich selbst erzeugenden Abläufen. Daher ist es zwingend notwendig, dass diese Abläufe mit einer hohen Zuverlässigkeit ablaufen.  Nur wenn ein Vorgang den nächsten zuverlässig auslöst entsteht eine dauerhafte Dynamik, die den Fortbestand des Systems ermöglicht. Diese Anschlussfähigkeit ist es auch, die Niklas Luhmann bei der Beschreibung seiner Theorie sozialer Systeme verwendet. Nur wenn ein Vorgang (er verwendet den Begriff Operation) den nächsten Vorgang bedingt entsteht ein System. Der Abbruch von Vorgängen, sprich das Ausbleiben eines Anschlussvorganges, führt zum Erliegen des Systems [6].

Somit ist Leben elementar gesehen nichts anders als durch Information gesteuerte Abläufe von chemischen Reaktionen. Auf eine chemische Reaktion folgt die nächste und immer so weiter.  Je zuverlässiger diese Reaktionen verlaufen, desto eher ist das System in der Lage fort zu bestehen. Die Organisation des Systems sorgt also dafür, dass die nötigen Bausteine vorhanden sind und diese korrekt miteinander verbaut werden. Fehler dürfen passieren, aber nur wenn dies nicht zum Erliegen der Ablaufkette führt. Je wichtiger ein Ablauf für das Überleben ist desto zuverlässiger muss er ablaufen. In jeder Zelle finden mehrere Millionen chemische Reaktionen statt und das pro Sekunde. Entsprechend hoch ist die statistische Wahrscheinlichkeit auf Erfolg von weit über 99,999x %. Und nicht nur das: Die Natur hat sogar unterschiedliche Reparatur- und Qualitätssicherung-Mechanismen installiert, die dafür sorgen, dass essenzielle Abläufe, wie die Zellteilung (Mitose) nahezu fehlerfrei ablaufen [8].

Operationale Zuverlässigkeit ist auch für soziale Systeme systemrelevant

In sozialen Systemen ist das auch nicht anders: Nehmen wir an ihre Organisation stellt einen neuen Elektro-Ingenieur ein. Bei der Rollenbeschreibung ihres neuen Kollegen bringt die Organisation die Erwartungen an die Durchführung dieser Rolle durch den neuen Stelleninhaber ein. Beginnt ihr neuer Kollege dann völlig entgegen aller Erwartungen diese Rolle mit Youtube-Streaming, bis zur Schmerzgrenze ausgedehnten Mittagsspaziergängen und fehlerhaften Berechnungen zu füllen, geht die Anschlussfähigkeit von Vorgängen verloren. Zumindest sind die Folgevorgänge nicht so, wie sie die Organisation erwartet hat. Anstelle von produktiven Anschlussvorgängen, werden Personalgespräche mit dem Chef oder aufgeheizte Kaffeeeckengespräche der Kollegen angeschlossen. Die niedrige Zuverlässigkeit, in der die Vorgänge jetzt ablaufen, sind nicht mehr in dem Maße gegeben als sie für den Fortbestand des Systems nötig wären.
Das ist natürlich ein überspitztes Beispiel. Es gilt aber gleichwohl für jegliche Art von Unzuverlässigkeit in Geschäftsprozessen, die ein System nachteilig beeinflussen. Vom defekten Arbeitsgerät, einer wartungsintensiven Maschine bis hin zur schwankenden Gefühlslage des Abteilungsleiters, welche die Prozesszuverlässigkeit in ungesundem Maße beeinträchtigt. Selbst für kreative und innovative Tätigkeit gilt dieser Zusammenhang. Methoden wie Design Thinking beruhen ebenfalls auf der Annahme, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass dem Prozess ein zweckmäßiger Gedanke entspringt. 

Es ist also systemtheoretisch gesehen ganz unerheblich ob ein unbelebtes Molekül oder eine Person dazu führt, dass ein Prozess nicht wie beabsichtigt abläuft. Es geht nur um die statistische operationale Zuverlässigkeit der Prozesse in die das Systemelement eingebunden ist. Denn ungeachtet dessen, ob wir über fehlerhaften Prozessketten in Zellen beispielsweise durch Mutation oder defekte Arbeitsmittel sprechen, die Häufigkeit von nicht systemerhaltenden Abläufen macht den Unterschied in der Lebensfähigkeit aus. Je zuverlässiger Abläufe und Systemelemente funktionieren, desto wahrscheinlicher ist der Fortbestand des Systems. Auf einer abstrakten Ebene betrachtet unterschieden sich Stoffwechselprozesse von Zellen und Lebewesen und Geschäftsprozesse von Unternehmen also nicht. Beide Prozessketten funktionieren nur wenn Materie und Energie im ausreichenden Maße vorhanden sind (Naturgesetze) und wenn sie statistisch sicher, also zuverlässig funktionieren (Information).

Lebendige Organisationen nach biologischen Vorbildern. Ja, bitte!

Ich bin davon überzeugt, dass der nächste evolutionäre Schritt für Organisationen sein wird, sich am Vorbild der Natur zu orientieren. Die Natur hat die Fragen der Komplexität, Kollaboration und der optimalen Ressourcennutzung bereits umfassend gelöst. Sie selbst sind das beste Beispiel für 100 Billionen symbiotische Kooperationen, die ihre Zellen tagtäglich leisten. Insbesondere bin ich angetan von der Idee sich dabei nicht nur auf naheliegende Analogien wie Tier zu Organisation zu versteifen, sondern sich an den grundlegenden Eigenschaften aller lebenden Organismen zu orientieren.

Bei der Übertragung ist man jedoch gut beraten die richtige Flughöhe einzunehmen: Es ist sicherlich nicht zielführend sich auf ein zu hohes Detaillevel zu begeben, um Analogien zu finden. Insbesondere in der Molekularbiologie macht es wenig Sinn, sich an eine 1:1 Übersetzung der 20 essenziellen Aminosäuren zu machen und analog 20 elementare Bausteine der Organisation zu suchen. Hingegen ist der dahinter steckende Modularisierungsgedanke, der im Aufbau aller lebenden Strukturen steckt, einen genaueren Blick wert.

Ich hoffe jedoch es ist anschaulich geworden, dass die Übertragung von biologischen Systemen und deren evolutionäre Prinzipien nicht zwingend eine unzulässige Trivialisierung von sozialen Systemen darstellen muss. Dies gilt gleichwohl, wenn man sich mit den fundamentalen Prinzipien des Lebens beschäftigt, die an der Grenze zur unbelebten Welt liegen. Denn beginnend mit den Rahmenbedingungen unseres Universums (Naturgesetze) bis hin zu statistischen Abläufen, teilen beide Arten von komplexen Systemen vergleichbare Wirkungsprinzipien. Hingegen kann die Organisationsbionik einem keinen Aufschluss über gute Führung, menschliches Miteinander und andere Aspekte des sozialen Lebens geben. Sicher ist nur, dass all diese Faktoren ebenso vorhanden sein müssen, um Systeme zuverlässig und damit überlebensfähig zu gestalten.

Lebe lang und erfolgreich!

Literaturhinweise und Buchempfehlungen

[1] Beer, Stafford (1995): Brain of the firm. 2. ed., reprinted. Chichester: John Wiley & Sons (The managerial cybernetics of organization). Seite 73-129 [Affiliate-Links: Englische Version]
[2] Cerman, Zdenek; Barthlott, Wilhelm; Nieder, Jürgen (2007): Erfindungen der Natur. Bionik – Was wir von Pflanzen und Tieren lernen können. 2. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verl. (rororo science, 62024). Seite 259 [Affiliate-Link: Deutsche Version]
[3] Christen, Philipp; Jaussi, Rolf; Benoit, Roger (2016): Biochemie und Molekularbiologie. Berlin, Heidelberg: Springer Spektrum. Seite 12 [Affiliate-Link: Deutsche Ausgabe]
[4] Gleich, A. von; Pade, C.; Petschow, U.; Pissarskoi, E.: Bionik. Aktuelle Trends und zukünftige Potenziale. Seite 18-26 [Link]
[5] Maturana, Humberto R.; Varela, Francisco J. (1980): Autopoesis and Cognition: D. Reidel Publishing Company. Seite 78
[6] Simon, Fritz B. (2018): Einführung in die systemische Organisationstheorie. 6. Auflage. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme Verlag (Carl-Auer compact). Seite 22-28 [Affiliate-Link: Deutsche Ausgabe]
[7] Shapiro, James Alan (2013): Evolution. A view from the 21st century. 1. print. with corr. Upper Saddle River, NJ: FT Press Science. [Affiliate-Link: Englische Version]