Nie wieder krank? – Mein Winter mit der Wim Hof Methode

Zusammenfassung für eilige Leser
Lebenszeit ist die kostbarste Ressource, die jeder von uns besitzt. Alltags-Krankheiten wie Erkältung, Schnupfen, Grippe oder Nasen-Nebenhöhlenentzündungen kosten uns diese wertvolle Zeit. Als regelmäßig Betroffener habe ich die Wim Hof Methode als natürliches Mittel zur Vermeidung entdeckt. Der Artikel fasst meine Einsichten und Ergebnisse eines Winters zusammen, indem ich regelmäßig mit der Technik gearbeitet habe.

We are successful at being comfortable, that comfort has become the enemy of our success.

Wim Hof

Als kleinster Teil sozialer Systeme ist jeder von uns ganz persönlich für seine eigene „Über-Lebensfähigkeit“ verantwortlich. Soziale Systeme können nur operational zuverlässig sein, wenn die Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen ihren Elementen – und damit meine ich den beteiligten Menschen – wiederholbare, kontinuierliche Abläufe hervorbringen.

Einfach ausgedrückt: Bin ich als Mensch unzuverlässig, leiden auch die sozialen Systeme denen ich angehöre. Achte ich beispielsweise nicht auf meine Gesundheit und falle regelmäßig krankheitsbedingt aus, ziehe ich auch mein Umfeld in Mitleidenschaft. Das kostet „Fitness“ nicht nur für mich persönlich. Einerseits da ich meine guten Gewohnheiten nicht mehr pflegen kann, aber auch für die Organisationen egal ob Unternehmen, Verein oder Familie, die nicht mehr auf meine Unterstützung setzen können. Unser heutiger Komfort hilft uns dabei auch nicht wirklich, denn er macht uns anfällig für Veränderungen.

Unsere Komfortzone schwächt uns

Ich schließe mich Wim Hofs Zitat an, und behaupte, dass wir in unserer Wohlstands- und Komfortgesellschaft zu bequem geworden sind. Wir sind es nicht mehr gewohnt, noch unternehmen wir immer seltener die Anstrengung uns neuen fordernden Situationen auszusetzen. Wenn möglich, werfen wir lieber schnell eine Pille ein, und schon geht es weiter mit dem eingespielten Alltag. Dabei werden die wirklichen Ursachen nicht angegangen, sondern nur noch Symptome bekämpft. Es ist eben einfacher so. Es kostet keine Energie und wenig Anstrengung. Sich grundlegend zu ändern ist nicht einfach.

Die Segnungen der ersten Welt führen jedoch auch dazu, dass wir immer weniger Zeit außerhalb der Mauern der Zivilisation verbringen. Wir haben die Verbindung zu den Kräften der Natur, Tage und Nacht, den Gezeiten und anderen natürlichen Einflüssen verloren und sie durch Künstlichkeit ersetzt. Eine Künstlichkeit die unsere Lebenswirklichkeit in engen Grenzen ablaufen lässt ohne wirkliche Schwankungen und Extreme. In Folge kennen wir viele Körpergefühle gar nicht mehr, die einst das Leben der Menschen ausgemacht haben. Wir sind es nicht mehr gewohnt in echte Wechselwirkungen mit unserer Umwelt zu treten, da wir sie durch unsere moderne Lebensweise ausgeschaltet haben. Und da sich unser System- unser Körper und Geist – nur den Dingen gegenüber anpassen kann, denen es in seiner Umwelt ausgesetzt ist, sind uns wertvolle Anpassungsmechanismen verloren gegangen. Denn nur außerhalb der eigenen Komfortzone, da wo es unangenehm wird oder gar wehtut, beginnt das eigene Wachstum.

Rückblick Winter 2016 bis 2018 – Erkältungen und andere Unannehmlichkeiten

Seit meine Tochter vor über 3 Jahren in den Kinderkrippe gekommen ist, bin ich über die Wintermonate einem Dauerfeuer aus Husten, Keuchen und laufenden Nasen ausgesetzt. Und es kündigte sich weiteres Unheil an, denn im vergangenen Herbst sollte nun auch mein kleiner Sohn die Kinderkrippe besuchen, was angesichts der letzten krankheitsbeladenen Winter keine gute Entwicklung ankündigte. Noch mehr Viren, Bakterien und andere Erreger und kein Ende in Sicht.

An sich ist das ja nicht schlimm. Doch wurde mit dem Krippeneintritt meiner Tochter mein persönliches Selbstbild vom „gesunden und widerstandsfähigen Moritz“ nachhaltig beschädigt. Denn jeden Winter seither bin ich Opfer von mindestens drei, manchmal sogar vier Erkältungen geworden. Schlimmer noch war es, dass diese zu allem Übel zumeist in einer ausgewachsenen Nasennebenhöhlenentzündung endeten. Mittlerweile konnte ich auf die Stunde genau die Entwicklung vom ersten Halskratzen bis zur persönlichen Unbrauchbarkeit ankündigen. Leider hatte der typische Krankheitsverlauf über die Jahre eine nervtötende Zuverlässigkeit erreicht. Und ehe man sich versieht, hat man ein bis zwei Wochen seines Lebens energielos, verschnupft und hustend zu gebracht. Zu allem Unheil hört man sich in dieser Zeit auch noch wie Benjamin Blümchen an, wenn die Bakterien erst einmal so richtig im Wachstumsmodus angekommen sind.

Ich habe mir deshalb Ende des letzten Winters eingestanden, dass meine Abwehrkräfte nicht so gut sind, wie ich es gerne hätte.
Es war daher an der Zeit mir etwas zu überlegen, um die Situation dauerhaft zu bessern:

Eine Lösung musste her! Und ich meine keine mit Medikamenten und Operationen.

Gesagt, getan: Gemeinsam mit meinem Bruder beschloss ich diesen Winter die Wim Hof Methode durch zuziehen. Wie das genau abgelaufen ist und welche neuen Gewohnheiten ich in den letzten Monaten gewonnen habe, verrate ich im Laufe dieses Artikels. Soviel kann ich schon einmal sagen: Die neuen Eindrücke und der durchschlagende Erfolg in Bezug auf meine Gesundheitsziele sind phänomenal.

Winter 2018/19 – Frieren für die Gesundheit

Nach nun 5 Monaten Wim Hof erlaube ich mir ein erstes Fazit zu ziehen. Denn während ich diese Zeilen schreibe hat sich meine ganze Familie gerade von unserem ersten familiären Influenza-Vorfall erholt. So krank wie in diesen Tagen habe ich meine Liebsten selten erlebt. Doch ich habe ausnahmsweise wieder nicht mit gemacht, so wie den Rest des Winters, wenn Fieber, Husten und Erbrechen angesagt war.

Überraschender ist für mich, dass ich die gesamten Wintermonate bisher ohne einen spürbaren Erkältungstag überstanden habe. Von einstmals 4 bis 6 Wochen Erkältunssleiden im Jahr, bin ich diesen Winter bei 3 Tagen leichter Halsschmerzen, etwas laufender Nase angekommen! Kein Husten, keine verstopfte Nase und vor allem keine verlorene Lebenszeit durch lästige Krankheiten – ein Erfolg auf ganzer Linie.

Und nicht nur das! Ich habe darüber hinaus eine großartige neue Methode gewonnen, die mein alltägliches Morgenritual bereichert. Kommen wir also zur Wim Hof Methode und meinen ersten 5 Monaten mit ihr:

Was ist die Wim Hof Methode?

Die drei Säulen der Wim Hof Methode (© 2019 Innerfire)

Die Wim Hof Methode (WHM) hat schon einige Jahre auf dem Buckel und ist mittlerweile zu einer weltweiten Bewegung geworden. Eine Bewegung für Menschen, die bereit sind ihre gewohnte und kuschelige Komfortzone zu verlassen und sich mit einer ungewohnten Naturkraft auseinanderzusetzen: Der Kälte. Ihr Begründer und Namensgeber Wim Hof ist ein absoluter Ausnahmesportler, der zudem ein sehr hartes persönliches Schicksal hinter sich hat. Es war wohl dieses Schicksal dass Wim Hof die Extreme suchen lies. Die Überwindung dieses Ereignisses durch das Messen mit der Kälte waren wohl die Geburtsstunde der Wim Hof Methode.

Über die Jahre hat Wim Hof mit seiner Methode zahlreiche Weltrekorde aufgestellt: Darunter das längste Eisbad, Schwimmen unter Eis und einen Barfuß Halbmarathon am Polarkreis, und die Besteigung des Kilimanjaro in Short in weniger als 48 Stunden. Letzteres ist insofern beeindruckend, da er es geschafft hat andere Menschen so zu instruieren, dass sie diese Bergtour gemeinsam mit ihm absolvieren konnten – ebenfalls ohne schützende Winterkleidung!

Die Wim Hof Methode baut auf drei Säulen auf: Atmung, Kälte und Einsatzwille.

Die drei Säulen der Wim Hof Methode

Kälte

Die WHM wäre wohl nicht die WHM, wenn eines nicht wäre: Die Kälte. Die Grundsäule der Methodik ist das sich regelmäßige Aussetzen von Kälte verschiedenster Art. Wim Hof prangert an, dass der moderne Mensch sich nur noch in seiner Komfortzone um die 20 bis 22° C bewegt. Im Winter heizen wir unsere Wohnungen, im Sommer hetzten wir vom klimatisierten Auto zur nächsten Beschattung, um uns keinen Extremen mehr aussetzen zu müssen [1].  Die Folge ist, dass unser Körper nicht mehr mit Kälte umgehen kann und viele Menschen in der kalten Jahreszeit „Dauerfrieren“. Gerade dem weiblichen Teil der Bevölkerung sagt man ja gerne nach, dass sie ständig „kalte Füße“ haben.

Atmung

Die zweite Säule der WMH ist das Erlernen einer Atemtechnik. Wim Hof hat sich bei seiner Atmungstechnik an der der tibetanischen „Tummo“ Atmung orientiert. „Tummo“ steht für „inneres Feuer“ und ist eine meditative Technik, die aus Atmung und der Visualisierung innerer Hitze besteht. Es ist bewiesen, dass diese Technik es geübten Praktizierenden erlaubt, willentlich ihre Körpertemperatur zu beeinflussen. Und Wim Hof ist ein lebendes Beispiel dafür, in welchem Maße die Einflussnahme auf den eigenen Körper möglich ist, angesichts der extremen Kälterekorde, die er aufgestellt hat. Zudem gibt es eine Studie aus dem Jahre 2013 die den Effekt bei tibetanischen Mönchen als auch westlichen Praktizierenden nachgewiesen hat [2].

Einsatzwille

Die letzte Säule der Wim Hof Methode ist der Einsatzwille oder auch Konzentration. Wer Videos mit Wim Hof gesehen hat weiß was er meint: „Klappe halten, Atmen und durch!“ Der Einsatzwille beschreibt den Teil der Wim Hof Methode, der mit dem Erleben von Unwohlsein zu tun hat. Dem Spüren ungewohnter, womöglich gar belastender Situationen und damit verbundenen Körpergefühlen. Denn im Kontakt der Kälte kommt es ganz unweigerlich zu einer Auseinandersetzung mit der eigenen Physiologie. In Extremsituationen wie einem minutenlangem verharren im Eisbad, reagiert der eigene Körper zu Beginn mit Stress. Es wird Adrenalin ausgeschüttet und eine Reihe physiologischer Reaktionen läuft ab, um die Wärme des Körpers zu bewahren. Die Überwindung und Beherrschung dieser Reaktion durch Willen, Konzentration und Atmung ist das Ziel der regelmäßigen Kälte-Trainings.

Wer sehen möchte was Einsatzwille für Wim bedeutet, dem empfehle ich das sehr gelungene Video der Yes Theory mit dem verheißungsvollen Titel „Frozen Alive“.

Vorteile der Wim Hof Methode

Wer sich den Strapazen der Wim Hof Methode aussetzt, den erwarten einige gesundheitliche Vorteile. Denn insbesondere zu Beginn stellen viele Übungen eine echte Bewährungsprobe dar. Basierend auf meinen Erfahrungen kann ich mit gutem Gewissen sagen, dass die folgenden Vorteile bereits nach 5 Monaten der Anwendung spürbar sind:

  • Verbesserte Abwehr gegenüber Krankheiten Mehr Energie
  • Mehr Energie und Wohlbefinden
  • Erhöhte Kältetoleranz
  • Schnellere Regeneration nach sportlicher Aktivität
  • Umgang mit Stresssituationen verbessern

Wissenschaftlicher Blick auf die Wim Hof Methode

Ich sehe mich als Wissenschaftler. Mein Körper ist ein Versuchslabor.

Wim Hof

Wer mich kennt weiß: Ich bin kein besonders esoterischer oder spirituell veranlagter Mensch. Dinge, die empirisch nicht belegbar sind, stehe ich erst einmal skeptisch gegenüber. Das ist womöglich auch der Grund dafür, dass mich Wims Methode von Beginn an angesprochen hat. Denn Wim untermauert seine Methode indem er in diversen empirischen Studien beweisen, dass er zu Dingen fähig ist, die man sich vorher nur schwer vorstellen konnte: Besonders hervorzuheben sind Studien aus 2012 und 2014, die nachgewiesen haben, dass Wim nicht nur seine Körpertemperatur regulieren kann, sondern sogar willentlich sein autonomes Immunsystem beeinflussen. Zumindest dachte man, dass es bis dorthin autonom war. Beeindruckender ist nur, dass nicht nur diese Leistungen vollbringen kann, sondern auch andere Menschen, die er in seiner Methode unterrichtet worden sind – wenn auch in geringerem Maße [3, 4]

Nun spart auch Wim nicht damit die Vorteile seiner Methode anzupreisen. Darunter sind, um nur einige zu nennen: Mehr Energie, besserer Schlaf, reduzierter Stress, stärkere Abwehrkräfte, schnellere Erholung (nach Anstrengung) usw. Wer zudem seine Videos kennt weiß auch, dass er die Methode als Ursache nennt, mit der er seine Depression überwunden hat. Auch bin ich der Meinung, dass Wim davon überzeugt ist, jede Krankheit durch seine willentliche Kraft überwinden zu können. Dies und die Tatsache, dass die WMH mittlerweile einen kultartigen Charakter hat verlangen zumindest einen skeptischen Blick.

Es gibt zahlreiche Studien zu den einzelnen Gesundheitsvorteilen im Kontext von Kälteexposition und oder Atmung. Es wäre zu viel für diesen Artikel alle, die ich gefunden habe, abzuhandeln, weshalb ich mich auf einige wesentliche konzentriere, die sich insbesondere mit meinen persönlichen Beobachtungen decken:

Erhöhte Immunabwehr: Es gibt eine Reihe von Studien zur Wirkung von Kälte auf den Körper. Auch wenn die Ergebnisse nicht immer ganz eindeutig sind, deuten die meisten Studien eine positive Wirkung von Kälte auf diverse Immunmarker bei den Studienteilnehmern hin. Eine Studie zwischen regelmäßigen und ungeübten Eisschwimmern zeigte, dass die Immunkörper bei den Dauerschwimmern deutlich erhöht waren. Auch wurde nachgewiesen, dass der Stressfaktor in Form von Cortisol-Ausschüttung unter geübten Schwimmern deutlich geringer war. Das bestätigt meine Erfahrung, dass der Kälteschock beim Eintauchen in Eiswasser schon nach ein bis zwei Wochen ausbleibt.  Man kann also annehmen, dass der regelmäßige Kontakt zu Kälte das eigenen Immunsystem positiv beeinflusst. Ich für meinen Teil kann das nur voll umfänglich bestätigen. [5,6]

Mehr Energie und Wohlbefinden: Irgendwie passen diese beiden Punkte nicht so recht zusammen. Fakt ist, dass wohl jeder die „belebende“ Wirkung von kaltem Wasser kennt. Nach dem ersten Kälteschock, klärt sich der Kopf und man fühlt sich frisch wie nach drei Tassen Kaffee. Tatsächlich gibt es hinweise darauf, dass Kälte die Ausschüttung von des Glückshormons Dopamin erhöhen kann und das Gefühl von Zufriedenheit nach einer Kälteexposition erklärt. [7] Die beschleunigte Stoffwechselrate von 200% bis 300%, durch die erhöhte Wärmeproduktion des braunen Fettgewebes ist ebenfalls ein Hinweis auf die belebende Wirkung [1, 9]. Von daher ist mehr Energie und Ausgeglichenheit auch nach meiner Erfahrung eine positive Wirkung regelmäßiger Kälte.

Erhöhte Kältetoleranz: Das kann ich unterschreiben. Nicht, dass man nicht mehr friert. Nein, man geht anders damit um. Ich habe gelernt, dass Kälte ersteinmal nur ein Gefühl ist und dass ich diesem Gefühl mit Atmung begegnen kann. Ich laufe jetzt regelmäßig barfuß raus, wenn ich den Müll rausbringe, egal wie Kalt es ist. Auch verbinde ich frieren und Erkältungen nicht mehr so wie ich es gewohnt war. Es schadet nichts zu frieren.

Bessere Regeneration: Einer der Hauptgründe der therapeutischen Kältetherapie ist es, die Regenerationszeiten von Muskeln nach sportlicher Belastung zu reduzieren. Muskelkater beispielsweise, insbesondere derjenige der erst nach einiger Zeit eintritt, ist zum Teil durch Entzündungsreaktionen bedingt. Kälte führt zur Bildung von Antioxidantien, die wiederum entzündungshemmend wirken [8]. Persönlich habe ich trotz Kältebad immer wieder Muskelkater gehabt, weshalb ich mir kein Urteil bilden möchte, ob dieser nun geringer ausgefallen ist. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass durch die Cortisolausschüttung (Stresshormon) während der Kälteexposition das Muskelwachstum eingeschränkt wird. Dies liegt daran, dass Cortisol ein hormoneller Gegenspieler des Testosterons ist [10]. Dabei gilt es aber nicht zu vergessen, dass man sich auch an Kälte gewöhnen kann, wodurch dieser negative Effekt mit der Zeit sinkt. Daher für mich kein Grund es nicht zu tun!

Stressresistenz: Bereits in anderen Bereichen (Disziplin und Gewohnheiten) hat sich gezeigt, dass positives Verhalten in einem Lebensbereich durchaus mit dem Verhalten in anderen korreliert. Einige der bereits genannten Studien lassen vermuten, dass die Beherrschung von Stressituationen durch Kälte mit der Zeit geringer ausfällt. Das legt für mich Nahe, dass die  Fähigkeit mit Stress umzugehen auch auf andere Stresssituationen übertragen werden kann. Denn die physiologischen Abläufe des „Fight or Flight“ Responses verlaufen bei jeder Art von Bedrohung recht ähnlich ab. Daher halte ich es für möglich, dass tägliche Eisbäder einen gelassener in anderen Stresssituationen machen.

Besserer Schlaf: Besserer Schlaf ist ebenfalls ein häufig genannter Vorteil der WMH. Die bisherigen Studien und Vorteile legen diesen Effekt aber nicht nahe. Denn ich vermute, jeder weiß um die Wirkung einer kalten Dusche. Sie belebt ungemein und macht einen je nach Temperatur wirklich wach. Ich konnte zumindest keine negativen Effekte mit meinem Oura-Ring messen, wenn ich doch einmal eine kalte Dusche vor dem zu Bett gehen genommen hatte. Besser wurde er aber auch nicht wirklich.

Sicherlich gibt es noch mehr Studien zu diesem Themenkomplex. Ich bin in jedem Fall ein Fan der WMH, trotz aller nötigen Skepsis. Ich konnte in nur 5 Monaten meine Ziele erreichen und zwar ohne Einschränkung.

Meine neuen „frostigen“ Gewohnheiten

In den letzten 5 Monaten habe ich durch die WMH zwei neue und regelmäßige Gewohnheiten geformt, die ich nicht mehr missen möchte: Die Nutzung der Wim Hof Atemtechnik und regelmäßige Kälteexposition.

Die Wim Hof Atmung

Wie bereits gesagt bin ich nie wirklich warm mit verschiedenen Meditationsformen geworden. Entweder hatte ich das Gefühl, dass Geplapper im Kopf ist nicht unter Kontrolle zu bekommen (ja…soll es auch nicht) oder ich wurde schläfrig, nicht aber wirklich „entspannter“.

Bei der Wim Hof Atmung war das anders: Bei dieser werden die Lungen mit einem tiefen Atemzug gefüllt und dann ein einem kurzen Stoß, nur teilweise ausgeatmet wird. Über 30 zirkulierende Atemzüge führt dies zur einer maximalen Sauerstoffsättigung im Blut. Wim nutzt diese Atemtechnik auch zur Vorbereitung auf eine Kälteexposition. Denn durch die Sauerstoffsättigung im Blut verändert sich wohl der Blut-Ph-Wert in Richtung alkalisch. Dieser Zustand wiederum soll die Schmerzrezeptoren für Kälte dahingehend beeinflussen, dass diese weniger sensibel sind und Kälte weniger schmerzhaft wahrgenommen wird. Denn unter 7°C hat unser Kälteempfinden auch viel mit Schmerz zu tun. Auch schüttet der Körper Adrenalin aus, was das Schmerzempfinden vorteilhaft beeinflusst. [1]

Aufzeichnung meines Herzschlages während der WMH Atemtechnik mit meinem Oura-Ring

Nach einer Runde Atmen folgt der willentliche Sauerstoffentzug durch Anhalten der Luft. Mit sinkender Sauerstoffkonzentration im Blut, verlangsamt sich auch der Herzschlag. Durch die vorherige Aufladung ist es damit bereits nach kurzem möglich über 2 Minuten und länger die Luft anzuhalten. Was aber noch besser ist: Die Luft anzuhalten entspannt mich deutlich mehr, als es andere Meditationsformen tun. Mit jeder Runde geht meist eine leicht erhöhte Dauer des Luftanhaltens einher. Und nach jeder Runde wird mein Herzschlag langsamer während ich die Luft anhalte. Ich habe eine Runde bestehend aus drei Zyklen zur Veranschaulichung mit meinem Oura-Ring aufgezeichnet. Der daraus hervorgehende „Ruhezustand“ ist phänomenal. Es fühlt sich nach Entspannung und innerer Kraft zugleich an.

Zum Aktivieren in den Morgenstunden kann das Luftanhalten auch durch Liegestütze oder Kniebeugen ergänzt werden. Man stellt sofort fest, dass man in diesem Zustand mehr Wiederholungen bewältigen kann, als ohne Atemvorbereitung. Top für das morgendliche Aufwach-Ritual vor dem Frühsport!

Kälteexposition – Schritt für Schritt zum Gefrierpunkt

Zu Beginn stehen für Neulinge kalte Duschen auf dem Programm. Und damit meine ich wirklich kalt, soweit der Mischhebel der Dusche es hergibt. Erst eine halbe Minute, dann eine bis hin zu mehrminütigem Eisduschen. Hat man diese Schritte hinter sich kann man die eigene Kälteexposition steigern: Man badet Hände und Füße für 2 Minuten in Eiswasser, was einem anfangs sehr schmerzvoll und unangenehm vorkommt. Die Spitze des Trainings ist dann das Eisbad. Dieses stellt je nach Dauer eine wirkliche Herausforderung an den eigenen Willen dar, der mit jeder Minute im Wasser mehr und mehr gefordert wird. Doch sind es genau diese außerordentlichen Situationen, die uns erlauben unsere eigenen geistigen Grenzen jedes Mal ein Stück auszudehnen.

Kälte ist relativ

Typische Wassertemperaturen im Jahresverlauf von Sommer bis Winter

In der Grafik habe ich meine persönlichen Meilensteine in Sachen Kältetraining visualisiert. Eine Erkenntnis, die mich rückblickend überrascht hat: Kälte ist relativ. Kalte Duschen sind gar nicht wirklich kalt. Zumindest nicht eiskalt!

Sommer – Die Kalte Dusche bei 16°C

Ich weiß noch genau wie unangenehm ich die ersten „kalten“ Duschen empfunden habe. Zwei Minuten unter der sommerlichen kalten Dusche kamen mir zu Beginn wie eine Ewigkeit vor. Man erleidet einen Kälteschock und neigt zu Kurzatmigkeit und verkrampften Muskeln. Blicke ich jetzt auf diese Temperatur zurück, empfinde ich sie nur noch als „Witz“, angesichts der Kälte, die ich mittlerweile regelmäßig aufsuche. Auch schockt einen die Kälte nicht mehr und Puls und Atmung bleibt auch stabil.

Herbst – Baden bei 10 °C

Ein absolut Erhebendes Erlebnis waren dann meine ersten Badeeinlagen in einem nahegelegenen See, die bei einer Wassertemperatur von 8 bis 16°C stattfanden. Persönlich habe ich um die 14°C rückblickend als optimale und angenehme Badetemperatur identifiziert, Bei dieser Wassertemperatur sind auch ausgedehnte Schwimmgänge um 30 Minuten kein Problem. Das innere Wärmegefühl ist einfach unbeschreiblich und man ist recht lange in der Lage diese aufrechtzuerhalten.

Winter – Die kalte Dusche oder Wanne bei 6°C

Im Winter kalt zu Duschen, wenn es außen windig, nass und unwirtlich wird, ist nicht nur eine mentale Sache. Auch sinkt die Temperatur des Leitungswassers auf bis zu 6°C ab, zumindest sagt das mein Fleisch-Thermometer. Mittlerweile jedoch ist es eine geringere Überwindung und gehört es irgendwie dazu jede Dusche mit 2 bis 3 Minuten Kälte abzuschließen. Der Kick in Sachen Wachheit, und Klarheit im Kopf als Belohnung ist ohnehin unbezahlbar. Diese Temperatur eignet sich auch hervorragend, um sich eine Badewanne einzulassen. Diese kann dann durch hinzufügen von Eisbeuteln auf etwa 4 bis 6°C gebracht werden, was durchaus ein guter Einstieg ins Eisbaden ist. Ich persönlich mag die liegende Position nur nicht so gerne.

Winter – Das Eisbad mit bis zu 0°C

Möchte man nun den nächsten Schritt nehmen heißt es wohl raus aus der Wohnung. Im Winter kann man so Wassertemperaturen von unter 6°C bis hin zum Gefrierpunkt finden. Eine weite Anreise zu einem Badegewässer stellt einige zusätzliche Herausforderungen in Bezug auf den sogenannten „After-Drop“ dar, weshalb ich mittlerweile das Vorhalten einer geeigneten Badeeinrichtung (Tonne, Fass) für ideal halte. Im Zweifelsfall ist man schneller drin (weniger Zeit und Gründe es nicht zu tun, und schneller wieder in der Wärme). In den letzten Wochen habe ich 3 bis 6 Mal wöchentlich ein Eisbad genommen.

Das Eisbad ist für den Körper eine echte „Überlebenssituation“. Hier kommt Adrenalin ins Spiel, da der Körper sehr schnell Wärme verliert. Da Wasser Wärme dermaßen gut leitet entspricht eine Minute Eisbad etwa dem 20 bis 25-fachen an der Luft bei gleicher Temperatur! Das merkt man, denn schon nach wenigen Minuten beginnen die Hände steif zu werden. Macht aber nichts! Denn durch ruhiges Atmen und Willensstärke ist man jedoch in der Lage über Minuten hinweg den Puls zu stabilisieren und Zittern nicht zuzulassen. Bei um die 0°C Wassertemperatur denkt man an nichts anderes als die Ruhe zu bewahren und zu bestehen. Man ist gar nicht in der Lage an etwas anderes als das Hier und Jetzt zu denken: Es geht nur um Einatmen- Ausatmen, Einatmen- Ausatmen und das Bewahren der inneren Wärme!

Mit der Zeit kann man die Phasen der Ruhe dann Stück um Stück verlängern, so dass ich mittlerweile – wenn auch tagesformabhängig – schon 5 bis 6 Minuten im Eisfass verweilen kann, bevor ich die „Kontrolle über meine Atmung“ verliere. Belohnt wird man mit einer erzwungenen Ruhe im Kopf, die besser als jede Meditation ist. Verlässt man das Bad bemerkt man, dass der eigene Stoffwechsel auf Hochtouren läuft. Energie für den ganzen Tag durchströmt einen. Es kribbelt und brennt.

Aber wie ihr an den Bildern seht ist Eisbaden mit der Zeit eine wirklich angenehme Sache, auf die ich mich täglich freue. Auch wenn ich das liebevolle „Eiskuscheln“, so wie mein Bruder Benedikt noch nicht begonnen habe.

Einsteiger-Tipp: Eine handelsübliche 310 Liter Gartentonne kostet nur um die 30 € und ist perfekt geeignet, um ein Eisbad zu nehmen.

Dusche vs. Baden

Beim Duschen bleiben immer einige Körperteile vom kalten Wasser verschont, wodurch man ein ständiges Wechselbad an Temperaturen hat. Mal fließt es den Rücken runter, dann wieder nicht. Eine richtige Gewöhnung an die Kälte und Ruhe kommen für mich unter der Dusche deutlich schlechter zu Stande als bei einem Ganzkörperbad. Daher ist für mich jede Form des Eintauchens angenehmer und wohltuender als eine Dusche.

Die Cryokammer – Kältebehandlung zwischen -130 und -170°C

Entspannen bei -155 °C

Im Rahmen des Kältetrainings habe ich auch eine sogenannte Cryo-Kammer besucht. Der Trend für kurzzeitige Kältetherapien ist gerade im Leistungssport und Wellnessbereich immer verbreiteter. Auf Grund der erhöhten Durchblutung als auch der Aktivierung der Blutgefäße wird damit eine schnellere Regeneration nach körperlicher Belastung als auch positive Effekte auf das Herz-Kreislauf-System verbunden. Während der Behandlung wird der Körper für 3 Minuten mit Stickstoff mit Temperaturen um -130 bis -170°C gekühlt.

Ich empfand die Behandlung als sehr angenehm. Da die Luft in der Kammer sehr trocken ist fühlt sich die Kälte sogar weniger kalt an, als man diese beim Eintauchen in Eiswasser empfindet. Ungeachtet dessen ist die Kammer schön kalt und man hat all die Vorteile, die auch beim Eisbaden entstehen. Dem steht nur der Preis dieser Behandlungen, die Verfügbarkeit, Begrenzung auf 3 Minuten und weniger entspannende Atmosphäre entgegen. Für mich nur in den Sommermonaten eine Option. Ich bin klar ein Fan der Eistonne!

Immer schön weiteratmen!

Breathe Motherf***er!

Offizielles Wim Hof T-Shirt

Die ersten Schritte zum Eisbad

Wenn ihr es bis hier hin geschafft habt, sollten euch ein paar kalte Duschen auch nicht mehr abhalten eurer Gesundheit und eurem Wohlbefinden einen großen Gefallen zu tun. Wenn ihr mehr wissen möchtet besucht einfach Wims offizielle Seite und schaut euch die kostenlose Mini Klasse an. Das am Ende des Beitrags verlinkte Buch gibt ebenfalls einen guten Überblick, über die Methode und seine Hintergründe. Seit kurzem gibt es auch eine Wim Hof App, die es Euch erlaubt geführte Atem-Sessions durchzuführen als auch eure täglichen Bemühungen mit kalter Dusche und Eisbad zu verfolgen. Ansonsten ist Wims Youtube-Channel einen Besuch wert!

Sicherheitshinweis
Bevor ihr mit der WMH beginnt seht euch bitte Wims Sicherheitshinweise an. Wenn ihr nicht sicher seid, ob ihr gesundheitlich fit genug seid, lasst euch von eurem Arzt durchchecken. In jedem Fall bietet es sich an langsam einzusteigen und nicht direkt zu Beginn in einen nahe liegenden See zu springen – schon gar nicht alleine!

Mein Fazit: Kälte ist cool! *haha*

Wer mich kennt weiß, dass ich eine verlässliche Tendenz dazu habe neue Dinge auszuprobieren, auch wenn sie „unangenehm“ sind. Mein Wunsch Ziele zu erreichen und an neuen Situationen zu wachsen wiegt schwerer, weshalb ich mich nicht abhalten lasse. Die letzten Monate Kältetraining- und Atemübungen haben mir einmal mehr gezeigt, wie wichtig es ist auch ganz persönlich die bekannte Komfortzone zu verlassen. Denn die Dinge, die einem am Anfang so unangenehm und abschreckend erscheinen, werden Tag um Tag normal und irgendwann fragt man sich: „Was hat mich überhaupt davon abgehalten damit anzufangen?“

Persönlich befinde ich mich sicher noch ganz am Anfang der Reise, wenn es darum geht meine Physiologie zu fühlen und vor allem willentlich zu beeinflussen. Die ersten Fortschritte sehe ich ganz persönlich in meiner mentalen Reaktion im Umgang mit der Kälte. Anstelle mich „schockiert zu frieren“ und dem ganzen geistig einen Stempel „unangenehm“ aufzudrücken, fühle ich einfach – und es fühlt sich immer besser an. Wenn ich unter Tage friere, dann atme ich den Wunsch zu Zittern einfach weg, anstelle mir einen Pullover anzuziehen. Ich habe auch weniger Bedenken mir vom Frieren eine Erkältung zu holen, sondern sehe das als eine Art willkommene Situation Kälte zu erfahren. Denn so kalt ist es dann doch nicht, wenn man 0 °C kaltes Eiswasser als Referenzpunkt nimmt.

Der Nutzen dieses Trainings ist für mich greifbar, da ich es als befriedigend empfinde meinen Körper und Geist besser zu kennen und damit in einem gewissen Maße kontrollieren zu können. Eisbäder befreien den Geist ungemein, da man nahezu in den Kontakt mit seinem eigenen Körper und dem jetzigen Moment gezwungen wird. Und die kalten Füße sind schnell vergessen, wenn man im Anschluss die Kraft der inneren Hitze spürt und sich wie neu geboren fühlt.

Winter is coming! Na, und?

Schniefnasen und kalte Temperaturen haben den Schrecken für mich verloren. Ich kann es mir fast schon nicht mehr vorstellen, in ein wohliges Eisbad zu klettern und zu spüren. Mir scheint es so, als ob wilde Gedanken und unbändige Sorgen bei Temperaturen um den Gefrierpunkt auch einen Phasenübergang ins Feste durchlaufen. Sie kommen mit mir zum Stillstand, obwohl mein Körper in diesem Moment seinen Stoffwechsel nach oben dreht. Belohnt wurde ich mit dem ersten krankheitsfreien Winter. Und wenn es doch mal fröstelt einfach einen Ingwer Shot trinken und von innen wärmen.

[Ironie] Ach und nicht zu vergessen sind meine kalten Duschen mein ganz persönlicher Beitrag zur Klimarettung! Ich bin mir sicher ich spare Wärmeenergie durch kalte Duschen. In diesem Sinne viel Spaß beim „Freezing for Future!“ [/Ironie]

All the love and power!

Literaturhinweise und Buchempfehlungen

[1] Hof, Wim; de Jong, Koen (2019): Nie wieder Krank. Riva Verlag Münchner Verlagsgruppe, 4. Auflage. [Affiliate-Link: Deutsche Ausgabe]

[2] Kozhevnikov, Maria; et al (2013): Neurocognitive and Somatic Components of Temperature Increases during g-Tummo Meditation: Legend and Reality. https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0058244

[3] Kox, M.; et al (2012): The influence of concentration/meditation on autonomic nervous system activity and the innate immune response: a case study. https://doi.org/10.1097/PSY.0b013e3182583c6d

[4] Kox, M.; et al (2014): Voluntary activation of the sympathetic nervous system and attenuation of the innate immune response in humans. https://doi.org/10.1073/pnas.1322174111

[5] Brenner, I.K.; et al (1985): Immune changes in humans during cold exposure: effects of prior heating and exercise. 10.1152/jappl.1999.87.2.699

[6] Dugué, B.; Leppänen, E. (2000): Adaptation related to cytokines in man: effects of regular swimming in ice-cold water. https://doi.org/10.1046/j.1365-2281.2000.00235.x

[7] Srámek, P.; Simecková, M., Janský, L.; Savlíková, J,; Vybíral, S. (2000): Human physiological responses to immersion into water of different temperatures. https://doi.org/10.1007/s004210050065

[8] Siems, W.G.; Brenke, R.; Sommerburg, O.; Grune, T. (1999): Improved antioxidative protection in winter swimmers. https://doi.org/10.1093/qjmed/92.4.193

[9] Ouellet, V. et al (2012): Brown adipose tissue oxidative metabolism contributes to energy expenditure during acute cold exposure in humans https://dx.doi.org/10.1172%2FJCI60433

[10] Jain, S.; Bruot, B.C.; Stevenson, J.R. (1996): Cold swim stress leads to enhanced splenocyte responsiveness to concanavalin A, decreased serum testosterone, and increased serum corticosterone, glucose, and protein. https://doi.org/10.1016/0024-3205(96)00286-x

Die Dynamik guter Gewohnheiten

Zusammenfassung für eilige Leser
Sobald wir uns Ziele setzen treffen wir immer und immer wieder Entscheidungen über die Umsetzung unseres Ziels. Jede dieser Entscheidungen bringt uns näher oder weiter weg von diesem Ziel. Wir können Zielsetzung, Entscheidung und Verhalten daher als Regelkreis verstehen. Unser bewusstes Entscheidungsverhalten ist der Regler, während sich unser Verhalten aus dem Zusammenspiel unserer Entscheidungen, unseren Eigenschaften und den Einflüssen der Umwelt ergibt. Gewohnheiten hingegen sind Automatismen, die unser Verhalten direkt beeinflussen, ohne Zutun unseres bewussten Entscheidungsapparates. Der Artikel entwirft ein Modell, die Zielerreichung als Regelkreis zu verstehen und was diese Sicht für uns bedeutet, wenn wir besser darin werden wollen Ziele zu erreichen.

In meinem heutigen Artikel geht es um einen – zugegeben – etwas unüblichen Blick auf die Frage, wie man Ziele erreicht. Insbesondere mit der Frage über die Dynamik von Entscheidungen und der Bedeutung von Gewohnheiten – egal ob gut oder schlecht. Beschäftigt man sich zu viel mit systemtheoretischen Fragen und dem Verständnis zirkulärer Wechselwirkungssysteme, entwickelt man eine besondere Sicht auf den eigenen Alltag.  Auch wenn ich die Frage der Zielerreichung anhand ganz alltäglicher Zielvorstellungen wie dem Erlernen einer neuen Sprache oder dem Wunsch abzunehmen diskutiere, sind die Zusammenhänge auch auf Organisationen übertragbar. Denn eine gute Gewohnheit ist im Kontext der Organisation nichts anderes als ein eingeschliffener guter Prozess – die viel gelobten „Best-practices“.

Wie erreicht man Ziele überhaupt?

Zu aller erst benötigt man, soviel steht fest, ein Ziel, das man verfolgen möchte. Über die Art und Weise wie man sich Ziele setzen sollte, sei man nun eine lernwillige Person oder eine Organisation, wurden viele Bücher geschrieben. Daher lassen wir diese Betrachtungen für den Moment außen vor und gehen davon aus, dass die fiktive Person, über die wir im Folgenden sprechen, sich ein sinnvolles und erreichbares Ziel gesetzt hat. Und hier ist es dargestellt als eine Zielfahne.

Im Sinne des Ziels handeln

Nun ist es gemeinhin so, dass Ziele, die es wert sind, erreicht zu werden, nicht an einem Tag verwirklicht werden können. Stattdessen erreichen wir diese dadurch, dass wir uns wiederholt zielkonform verhalten. Angenommen wir setzen uns also das Ziel, eine neue Sprache zu lernen, dann werden wir diesem Ziel jedes Mal näherkommen, wenn wir uns so verhalten, dass es unserem Ziel dient. Abends nach einem anstrengenden Arbeitstag, als die Kinder endlich selig in ihren Bettchen schlummern, stellt sich also die Frage: Vokabeln pauken oder Fernsehen. Option (a) wäre also die zielkonforme Entscheidung und (b) eine nicht dem Ziel dienliche Verhaltensoption.

Lassen wir für den Moment einmal außen vor, dass es durchaus sein kann, dass man mehrere Ziele gleichzeitig verfolgt, die womöglich sogar im Widerspruch zueinanderstehen, da dies die Überlegung nur unnötig verkomplizieren würde. Denn diese Thematik fällt für mich in die Domäne der Zielsetzung, bei der derlei Interdependenzen zu berücksichtigen sind. Um ihrem Ziel endlich Spanisch sprechen zu können näher zu kommen, entscheiden sie sich ganz selbstverständlich für Option (a) – nicht wahr? Oder doch nicht…zumindest nicht immer.

Auf die Kontinuität kommt es an

Folglich können wir also sagen, dass wir um Ziele zu erreichen zwei Dinge tun müssen: Entscheidungen über Verhaltensoptionen treffen und das ausgesuchte Verhalten dann auch ausführen. Dann sieht unser Fortschritt vermutlich in etwa so aus: Mal geht es schneller, Mal geht es langsamer oder sogar leicht rückwärts, aber irgendwann kommen wir dorthin, wo wir hinmöchten. Man spricht hier auch gemeinhin von der 1% Regel. Wenn man jeden Tag 1% Fortschritt erzielt, hat man mit „Fortschrittszinsen“ am Ende des Jahres einen Hub von 37,8% im Sinne der eigenen Zielerreichung gemacht [2]. Sprichworte dazu gibt es genügend: Steter Tropfen höhlt den Stein. Rom wurde nicht an einem Tag erbaut und wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert. Wir halten fest: Auf Kontinuität kommt es an.

Wissen woher man kommt, um zu wissen wohin man geht

Um zu unserem Ziel zu gelangen gehen wir von unserem heutigen Standpunkt aus. Dem Ort, von dem wir unsere Reise zum Ziel hin antreten. Wenn wir uns ein Ziel setzen, ist es von unbeschreiblichem Wert zu wissen, wo man steht. Die Verortung des aktuellen Standpunktes, der eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten ist fundamental wichtig, um ein sinnvolles Ziel setzen zu können. Auch gibt der aktuelle Standpunkt auch Rückschlüsse auf die möglichen Maßnahmen, um das gesteckte Ziel zu erreichen: Bin ich als angehender Spanisch-Schüler ganz am Anfang, mache ich sicherlich mit einem x-beliebigen Kurs für zu Hause gute Fortschritte. Möchte ich hingegen an meiner Aussprache feilen, wird es ohne Kontakt zu Muttersprachlern sehr schwierig werden.

Ohne Wahrnehmung kein Fortschritt

Die Wahrnehmung darüber, wie sich der eigene Fortschritt entwickelt, ist für das Vorankommen unerlässlich. Lernt man eine Sprache von Beginn an ist die Zielverfolgung relativ simpel: Man zählt die gelernten Vokabeln und hakt Stück um Stück neue grammatikalische Themengebiete ab. Oder aber man versuchst sich an standardisierten Sprachtests, um die persönliche Sprachfertigkeit zu prüfen. Arbeitet man hingegen an schwieriger messbaren Dingen, wie dem freundlicheren Umgang mit seinen Mitmenschen, aktives Zuhören, oder gar weniger Stress zu empfinden wird es deutlich kniffliger. Sicherlich kann man seinen Fortschritt anhand eines persönlichen Journals oder Tagebüchern erfassen, jedoch setzt die eigene Verortung in derlei Dingen ein hohes Maß an Selbstwahrnehmung voraus. Auch ist nicht zu leugnen, dass hierzu ein gehöriges Maß an subjektivem Empfinden mit hinein spielt – wie sollte es auch anders sein. Diese gekonnte Selbstwahrnehmung ist jedoch ein unverzichtbares Werkzeug, wenn ich meinen Standpunkt klar bestimmen möchte.

Auf die Frequenz kommt es an

Wenn wir über die Wahrnehmung des Fortschrittes sprechen stellt sich neben der Frage des wie, auch die Frage des wie oft? Baumeister der Vater der Selbstdisziplin bezeichnet diese Wahrnehmung als Selbstbeobachtung. Seine Studien zeigen deutlich, dass die Häufigkeit dieser Selbstbeobachtung von Bedeutung ist. Nimmt man zu selten „Maß“ steht dies im direkten Zusammenhang einer verminderten Zielerreichung. Beim Abnehmen zum Beispiel hat sich nicht bewahrheitet, dass einmal die Woche ausreichend ist das Gewicht zu messen. Schwankungen hin oder her, sich täglich selbst zu beobachten unterstützt die eigene Motivation [1]. Vereinfacht gesagt: Je häufiger die Selbstwahrnehmung, desto höher die Selbstdisziplin. Es kommt also darauf an, dass die Verortung des Fortschrittes ausreichend häufig geschieht. Tun wir dies nicht können wir Schwankungen und Veränderungen in der Fortschrittsgeschwindigkeit nicht ausreichend wahrnehmen. Wir kennen diesen Zusammenhang auch aus dem Beruflichen: Ein Projektterminplan entfaltet seine steuernde Wirkung nur, wenn er in ausreichender Frequenz hervorgezogen und entsprechende Maßnahmen daraus gezogen werden. In der Schublade hingegen hilft er nichts.

Ziele erreichen – ein kontinuierlicher Regelkreis

Jetzt haben wir die Grundlagen alle zusammen: Wir erreichen Ziele durch Entscheiden, Verhalten und Wahrnehmung. Wir wissen woher wir kommen (Ist- Stand) und wohin wir möchten (Zielzustand). Da unser Verhalten nichts anderes als eine unaufhörliche Kette von bewusster und unbewusster Entscheidung ist, ergibt sich ein geschlossener Wirkungskreis aus: Zielen – Entscheiden – Handeln und Wahrnehmen. Wir können dieses Zusammenspiel vereinfacht als einen geschlossenen Regelkreis interpretieren, den ich im Folgenden skizziert habe [4]:

Sollten Sie nicht in Genuss einer Systemtheorie- oder Regelungstechnik-Vorlesung gekommen sein, erkläre ich kurz wie das gezeigte Regelschema zu verstehen ist:
Auf der linken Seite ist unser bekanntes Ziel aufgezeichnet. Wir sprechen hierbei auch von der Führungsgröße. Denn wir erhoffen uns ja, dass diese Größe unser Verhalten führt. Auf das Beispiel eine Sprache zu lernen bedeutet das z.B.: 1000 Vokabeln lernen. Auf der rechten Seite ist unsere Ist-Position aufgezeichnet. Dieser liegt bei Beginn unserer Lernreise bei 0 Vokabeln. Folglich möchten wir eine Distanz von 1000 Vokabeln überwinden, um an unser Ziel zu gelangen.

Die Rückkopplungsschleife

Da wir uns regelmäßig messen, nehmen wir unseren aktuellen Stand wahr. Dieser Soll-Ist-Vergleich wird Rückkopplung genannt und trägt die Beschriftung „Wahrnehmung“. Unsere Wahrnehmung ist beispielsweise das wöchentliche Durchgehen unseres Karteikastens (old-school!) am Sonntagabend. Hierbei zählen wir alle bekannten Vokabeln durch und haben einen messbaren Lernfortschritt. Dadurch, dass wir dies nur einmal wöchentlich tun, ist dies keine ständige, sondern nur eine diskrete Messgröße. Würden wir unter der Woche an einem Dienstag und Mittwoch Vokabeln lernen und Fortschritt erzielen, würden wir diesen erst am Sonntag zahlenmäßig erfassen können. Genau deshalb ist die Regelmäßigkeit von Bedeutung, da sie sonst keine regelnde Bedeutung gewinnt.

Regler und Regelstrecke

Da wir also Wissen, dass wir aktuell keine einzige Vokabel können, haben wir eine Abweichung von 1000 an unserem Entscheidungs-Regler anliegen. Grundsätzlich funktioniert ein Regelkreis so, dass der anstehende Wert, dazu führt, dass eine Reaktion durch den Regler eingeleitet wird. Diese Reaktion ist für gewöhnlich so beschaffen, dass sie zu einer Verminderung der Differenz am Eingang führt, indem sie die Regelstrecke beeinflusst. Unsere Entscheidung regt folglich unser Verhalten an, sich in die erwünschte Richtung zu bewegen. Abhängig vom gemeinsamen Verhalten des Reglers und der Regelstrecke geschieht das dann schneller oder langsamer. Dies entspricht dem dynamischen Verhalten des Regelkreises.

Indem sich mit der Zeit die Anzahl am Ausgang unseres Regelkreises erhöht, reduziert sich die Differenz am Eingang des Reglers. Wir lernen dazu. Bildlich gesprochen verringert sich mit dem Lernfortschritt der Druck am Eingang des Reglers, etwas zu tun. Denken sie sich dieses Bild daher als stetigen Kreislauf, der immer wieder durchlaufen wird. Fällt beispielsweise an 14-Tagen in Folge am Regler die Entscheidung „Fernsehen“, ändert sich am Ausgang nichts. Wir lernen nicht dazu. Im ungünstigsten Fall sinkt der Wert sogar, da wir Vokabeln vergessen. Geschieht dies steigt der Druck wiederum etwas in die richtige Richtung zu unternehmen.

Störungen

Und was sind die Störungen? Ja, das ist der leidige Teil unseres Regelungssystems der dazu führt, dass wir trotz einer getroffenen Entscheidung nicht das Verhalten zeigen, dass wir gerne möchten. Stellen sie sich hierunter jegliche unvorhergesehene Störung vor. Angefangen vom spontanen Anruf eines Bekannten aus dem letzten Sommerurlaub bis hin zu lautem Geschrei auf der Straße vor Ihrem Haus. Ungeachtet der Dauer und des Ausmaßes führt das teilweise oder ganz zum Verpassen ihres abendlichen Vokabelpaukens.

Die Dynamik von Entscheidung und Verhalten

Regelkreisen ist gemein, dass sie ein Zeitverhalten haben. Sprich die 1000 fehlenden Vokabeln am Eingang unseres Regelkreises führen nicht unmittelbar dazu, dass am Ende „Simsalabim“ innerhalb eines kurzen Augenblickes 1000 Vokabeln stehen. Nein, es dauert immer bis das Ziel erreicht ist, sprich hat ein Zeitverhalten. Einerseits reagiert ein Regler nicht ohne Verzögerung, noch ist unsere Regelstrecke dazu in der Lage.

Der Entscheidung-Regler beeinflusst das Verhalten

Ein häufiger und einfacher Regler, den man aus der Systemtheorie kennt ist der sogenannte PI-Regler. Ob unser Entscheidungsverhalten in der Realität ein PI-Regler ist muss bezweifelt werden. Unser Entscheidungsverhalten ist nicht-linear und komplex. Das soll uns für dieses Überlegungen jedoch nicht stören, da ich diese Reduktion für anschaulich und hilfreich erachte. Denn aus meiner Beobachtung des menschlichen Entscheidungsverhaltens, kann man die beiden Komponenten eines PI-Regler erahnen. Wenden wir uns also den beiden zeitlich ganz unterschiedlich wirkenden Einflüssen unseres Entscheidungsverhaltens zu, die dieses Modell mit sich bringt:

Das unmittelbare Entscheidungsverhalten

Der P-Anteil steht für Proportionalität und damit einen Einfluss auf unsere Entscheidung, der unmittelbar und direkt geschieht. Wenn ein beliebiger Wert am Eingang des P-Reglers anliegt, gibt er diesen Wert multipliziert mit einem Faktor p aus. Ist der „Veränderungsdruck“ zu Beginn groß, führt dieser Teil unseres Entscheidungsverhaltens zu einem direkten Handlungsdrang. Je höher der „Druck“ und je höher unser individueller Verstärkungsfaktor p, desto eher Entscheiden wir uns kurzfristig zielkonform. Diese Komponente der Entscheidungsfindung geht für gewöhnlich mit einer hohen Selbstdisziplin einher. Personen, die ein hohes Maß an Disziplin aufweisen, werden direkter handeln, als Personen die einen schwachen Verstärkungsfaktor p haben. Für den einen fühlt sich die Lernlücke von 1000 Vokabeln wie 100 (p = 0,1 entspannt, undiszipliniert) an, und für den anderen wie 2000 (p =2 ernsthaft und diszipliniert). Auch die relative Bedeutung des Ziels innerhalb unserer eigenen inneren Zielhierarchie und die Deckungsgleichheit mit unserer Motivation sorgen für einen hohen Verstärkungsfaktor.

Das zeitabhängige Entscheidungsverhalten

Der I-Anteil steht für Integration. Damit steht der I-Anteil für Entscheidungseinflüsse, die sich über die Zeit aufbauen, solange das Ziel ansteht. Integration ist hier im mathematischen Sinne, gemeint: Das bedeutet eine Differenz von 1000 Vokabeln am Eingang unseres Reglers. Dies führt zu einem stetigen Anstieg des Wertes an seinem Ausgang: Erst 1, dann 2, dann 3 etc. Anstelle einer unmittelbaren, direkten Reaktion baut sich diese also über die Zeit auf. Die Frage ist nur wie schnell das geht. Denn auch hier existiert ein Faktor i, der festlegt wie schnell oder langsam dieser Anstieg von statten geht, womit sich der Entscheidungsdruck langsamer oder schneller aufbaut. Ich interpretiere den i-Anteil des Entscheidungsverhalten als das „schlechte Gewissen“. Er entsteht durch Tatsachen, die man nicht leugnen kann, je länger sich die Zielerreichung verzögert. Entscheide ich mich als leidenschaftlicher „Aufschieber“ mehrmals gegen zielkonformes Verhalten, oder werde wiederholt durch Störungen abgelenkt, baut sich mein schlechtes Gewissen auf. Irgendwann entsteht auch hier Handlungsdruck, wenn ich überhaupt keinen Fortschritt gemacht habe. So führt nach einer gewissen Zeit, diese dauerhafte Abweichung vom Zielzustand dazu, dass ich mich für zielkonformes Verhalten entscheide.

Die Frage, in welcher Form die Entscheidung fällt, hängt also von der ganz individuellen „Regler-Einstellung“ ab. Diese Einstellung ist zudem über die Zeit hinweg nicht stabil. Erschöpfung, oder andere Umgebungsfaktoren können dazu führen, dass wir andere Entscheidungen treffen, trotz gleich hohem „Druck“ am Eingang. An einem Tag können 500 fehlende Vokabeln noch ein Lernverhalten anregen, am nächsten Tag wiederum nicht.

Unser Verhalten wird durch unsere Eigenschaften bestimmt

Unser Verhalten habe ich als PT2-Funktion in mein Modell aufgenommen. Weshalb? Da unser Verhalten mit Sicherheit eines ist: Zeitabhängig und zum Teil hochdynamisch. Und zwar so dynamisch, dass jeder von uns diese „Überschwinger“ im eigenen Verhalten kennt, die aus schlechtem Gewissen oder überbordendem Eifer entstehen können. Das alles kann ein PT2-Glied aus regelungstechnischer Sicht abbilden.
Das durch eine Entscheidung hervorgerufene Verhalten hängt maßgeblich davon ab, wie unser System beschaffen ist. Und zwar der Teil unseres Systems, der nötig ist um unser konkretes Vorhaben zu erreichen. Möchten wir eine Sprache lernen benötigen wir gewisse Eigenschaften. Je nachdem in welchem Maße wir diese besitzen führt eine Entscheidung schneller oder langsamer zum gewünschten Ergebnis: Dies sind Eigenschaften wie Intelligenz, Persönlichkeitsmerkmale oder die Fähigkeit, sich über lange Zeit konzentrieren zu können. Aber auch ganz grundsätzlich begabt für den Spracherwerb zu sein oder bereits andere vergleichbare Sprachen zu kennen, fließen hier positiv ein. Zusammengefasst ist Verhalten für mich die konkrete Handlung, die wir vollziehen. Der konkrete Ergebnisbeitrag im Sinne der Zielerreichung hängt wiederum stark von der Beschaffenheit unseres Systems (Regelstrecke) ab. 

Störungen des Verhaltens trotz Entscheidung

Unser Verhalten ist auch der Ort an dem Störungen aus der Umwelt unseren Regelkreis „angreifen“. Nehmen wir beispielsweise Reize aus der Umwelt wie ein brummendes Handy. Die positive Entscheidung wurde zwar gefällt, aber unser Verhalten wird dadurch negativ beeinflusst. Die beste Möglichkeit diese Störungen loszuwerden, ist diese ganz zu vermeiden. Dies jedoch ist nur möglich, wenn diese nicht zufällig und unvorhersehbar sind. Ähnlich wie in der Regelungstechnik ist es daher auch im echten Leben: Bekannte Störungen können wir ausschalten, indem wir diese gezielt vermeiden. Handy aus! Unvorhergesehene Störungen hingegen werden immer das Ergebnis unseres Regelkreises beeinflussen.

Zuverlässige Zielerreichung durch Gewohnheiten

Kommen wir jetzt zum Kern des Artikels: Es ist mittlerweile bekannt, dass erfolgreiche Personen sich nicht durch eine außerordentliche Willenskraft und Disziplin auszeichnen. Stattdessen kennzeichnen sie sich dadurch, dass sie deutlich mehr gute Gewohnheiten erlernen, als ihre Mitmenschen. Gewohnheiten erfüllen einen wertvollen Zweck für unser Gehirn, indem sie Energie sparen, die wir beim Nachdenken und Entscheiden verbrauchen würden. Gewohnheiten sind automatisierte Handlungsmuster, die grundsätzlich nach dem Folgenden Schema ablaufen: Reiz, Routine und Belohnung [3]. Ein Reiz aus der Umwelt, bspw. das Erblicken des Schreibtisches, aber auch das Brummen des Mobiltelefons, das ihre Aufmerksamkeit verlangt.

Wie funktioniert eine gute Gewohnheit

Die Routine, die daraus folgt, hängt direkt mit der erwarteten Belohnung zusammen. Meist ein befriedigendes Ereignis, dass mit einer Ausschüttung des Hormons Dopamin einher geht. Der Blick auf die neueste WhatsApp-Nachricht befriedigt beispielsweise das menschliche Bedürfnis nach Nähe. Ob die Gewohnheit, die durch den Reiz erfolgt, „gut“ ist, hängt jedoch davon ab, ob sie mit dem zielkonformen Verhalten übereinstimmt.
Vereinfacht gesagt: Ist das durch den Reiz eingeleitete Verhalten gut für ihr Ziel, ist die Gewohnheit gut. Erfüllt sie hingegen keinen Zweck bei der Erreichung ihrer Ziele ist sie schlecht – oder wird als schlecht wahrgenommen.

Doch was bedeutet das Vorhandensein einer Gewohnheit für unser Modell?

Die Dynamik guter Gewohnheiten

Eine Gewohnheit hat die Eigenschaft, dass sie Verhalten unwillentlich hervorruft, ohne dass dazu eine bewusste Entscheidung nötig ist. Sprich völlig unabhängig davon, wie hoch der Druck an unserem Regler denn nun ist, egal ob 1000 oder nur 50 Vokabeln, es wird eine entsprechende Verhaltensreaktion verursacht. Gehen wir also davon aus, dass es sich um eine gute Gewohnheit handelt, die uns automatisch im Sinne unseres gewünschten Zieles handeln lässt: Der Anblick ihres Vokabel-Kastens führt nach monatelanger Disziplin und entsprechenden Erfolgen also zu einer automatischen Reaktion. Es ist eine Routine entstanden.: Tisch mit Vokabelkasten -> Lernen-> Erfolg durch Wissenserwerb. In Folge ist ihr Verhalten nahezu unabhängig (oder deutlich unabhängiger) von ihrer aktuellen Willenskraft, ihrer Tagesform oder anderen Faktoren die ihren „Entscheidung-Regler“ beeinflussen. Ihr Gehirn hat dieses Muster zwischen Reiz und Reaktion so internalisiert, dass dieser Pfad sie weniger Energie kostet und die bevorzugte Handlungsoption darstellt.

In der Regelungstechnik nennt man diese Funktion eine Vorsteuerung. Eine Vorsteuerung überführt die Führungsgröße direkt in ein entsprechendes Verhalten. Das funktioniert aber nur solange sich das Ziel nicht ändert oder die Regelstrecke gänzlich anders ist. Auch kann diese nichts gegen unvorhergesehene Störungen ausrichten. Wobei wir nicht vergessen dürfen, dass dieser Kreislauf immer und immer wieder abläuft und jede neue bewusste Entscheidung über den Ausgang der nächsten Handlung entscheidet.

Optimieren Sie ihren Zielerreichungs-Regelkreis

Ziel der technischen Regelungstechnik ist es immer die Leistung des Regelkreises zu verbessern. Durch die Optimierung des Reglers möchte man ein Verhalten des Systems erreichen, dass einerseits stabil ist und andererseits den Ansprüchen an Geschwindigkeit gerecht wird. Durch das Beobachten des Systems, durch äußere Reize kann man erfahren wie es reagiert und im Zusammenspiel zwischen Regelung – unseren Entscheidungen und der Regelstrecke (unserem Verhalten) funktioniert. Im nächsten Bild habe ich das Regelschema um mögliche Einflüsse erweitert, die sich auf das Verhalten des Systems auswirken. Diese „Stellschrauben“ ermöglichen es uns, sind wir uns über sie einmal bewusst, gezielter an unserem „Regelungsverhalten“ zu arbeiten:

Ansätze zur Optimierung

  • Stellen Sie sicher, dass die Wahrnehmung ihres Systems ausreichend ist. Werden Sie sich überhaupt regelmäßig und ausreichend darüber bewusst, ob Sie in die richtige Richtung laufen? Ohne eine ausreichende Selbstbeobachtung kann ihr Regelkreis kaum auf nicht zielführendes Verhalten reagieren.
  • Welche Parameter beeinflussen ihre Entscheidungen und ihr Verhalten? Führen diese Umstände dazu, dass Sie eher behäbig oder übermäßig auf neue oder bestehende Zielsetzungen reagieren? Beim Errichten guter Gewohnheiten geht es darum eine Häufung von optimalen Durchläufen zu erreichen. Gerade Störungen, die vorhersehbar sind müssen ausgeschlossen werden.
  • Die Erreichung von Zielen ist die Summe hunderter, wenn nicht gar tausender Situationen, in denen man richtig entschieden hat. Egal ob im Beruf oder Privat zeigt dies ganz deutlich welch marginale Wirkung Einmal-Aktionen und Hauruck-Vorhaben haben. Selbst wenn sie in der Lage sind durch eine unerhörte Willensanstrengung kurzfristig ihr Ziel zu erreichen, wird dies nicht von Dauer sein. Denn ändert sich nicht ihr Entscheidungsverhalten, ihre Persönlichkeit oder entwickeln sie keine gute Gewohnheit wird sie jeder Zyklus wieder von ihrem Ziel entfernen.

Auch die Optimierung ist eine gute Gewohnheit

Vergleichbar einem technischen Regelungssystem können sie das Verhalten ihres Systems dadurch ergründen, dass sie bewusst eine Verbindung zwischen Zielsetzung und Wahrnehmung herstellen. Der Regelungstechniker sagt auch Ausmessen des Systems dazu, und zwar indem er eine „Sprungantwort“ aufzeichnet. Er gibt vorne einen „Sprung“ auf das System (z.B. eine neue Zielgröße) und misst am Ausgang das Verhalten des Systems. Der Eingangsreiz führt zu einer Reaktion des Systems. Doch welche ist das? Erst wenn man dieses Verhalten versteht, ist man in der Lage die Optimierung vorzunehmen, und an den imaginären „Stellschrauben“ unserer Entscheidungsfindung zu drehen. Auch kann ich Störungen nur dann gezielt ausschalten, wenn ich mir dieser bewusst werde. Durch wiederholtes Justieren der eigenen Stellglieder kann so über die Zeit ein besseres Verhalten erreicht werden. Am Ende ist selbst das regelmäßige Beschäftigen mit sich selbst eine gute Gewohnheit, die sich positiv auf viele andere Bereiche des Lebens auswirken kann.

Eine Ausnahme ist in Ordnung, aber zwei Ausnahmen sind der Anfang einer schlechten Gewohnheit.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Lebe lang und erfolgreich!

Literaturhinweise und Buchempfehlungen

[1] Baumeister, Roy F.; Tierney, John (2014): Die Macht der Disziplin. Wie wir unseren Willen trainieren können. 5. Auflage. München: Goldmann. Seite 141-154 [Affiliate-Links: Englische Ausgabe | Deutsche Ausgabe]
[2] Clear, James (2018): Atomic habits. An easy and proven way to build good habits and break bad ones : tiny changes, remarkable results. London: Random House Business Books. Seite 15-23 [Affiliate-Links: Englische Ausgabe | Deutsche Ausgabe ]
[3] Duhigg, Charles (2013): The power of habit. Why we do what we do and how to change. London: Random House Books. Seite 3-30;60-78 [Affiliate-Links: Englische Ausgabe | Deutsche Ausgabe]
[4] Föllinger, Otto; Dörrscheidt, Frank (2008): Regelungstechnik. Einführung in die Methoden und ihre Anwendung. 10. durchges. Aufl., Nachdr. der 8., überarb. Aufl. 1994. Heidelberg: Hüthig (Studium). Seite 284-285 [Affiliate-Links: Deutsche Ausgabe]