Wie Organisationsbionik dem CTO als Change Manager hilft

Ich habe über Organisationsbionik gesprochen! Aber nicht allein, sondern mit Wolfgang Beeck und Thomas Jenewein im EducationNewsCast Podcast.

Im Podcast sprechen wir gemeinsam darüber, wie Wolfgang und ich erfolgreich Prinzipien aus unserem Business-Roman Zellkultur auf die Beschleunigung einer erfolgskritischen Entwicklung bei Regnology Group GmbH übertragen haben.

Kurzfassung

Es gibt einiges zu erfahren in unserem Podcast. Zu Beginn gebe ich ein paar Beispiele darüber, wie die Natur bereits in der Vergangenheit Managementtheorien beeinflusst hat. Selbst Niklas Luhmann bediente sich Begrifflichkeit aus der Biologie, wie natürlich aus Stafford Beer und sein Viable System Model. Im Kern geht die Episode aber um angewandtes Change Management und operative Exzellenz in einer agilen Entwicklungsumgebung. Wolfgang zeigt auch auf, weshalb ein CTO neben dem Fokus auf Technisches, zugleich auch Change Agent sein sollte.

Es gibt viele spannende, konkrete Beispiele aus der Praxis zu hören, wie die Optimierung von Tests und Testsystemen oder wie wir die Performance, mithilfe katalytischer Beschleunigung von Arbeitsprozessen verbessern konnten. Außerdem erfahrt ihr was es mit dem Schaffen besserer Arbeitsbedingungen auf sich hat. Als bekennender Praktiker ist mein früherer Kunde Wolfgang überzeugt, dass ihm unsere Organisationsbionik dabei geholfen haben, die ambitionierten Ziele seiner Entwicklungsorganisation zu erreichen.

Reinhören

Wer Lust hat reinzuhören, kann dies hier tun:
🎧 openSAP https://lnkd.in/e33BgVK3
🎧 Apple https://lnkd.in/ech3Y3ne
🎧 Spoitfy https://lnkd.in/dZQ75tU
🎧 Google https://lnkd.in/e7mWfddC


Organisationsbionik – Organisationen nach dem Vorbild der Natur gestalten

Zusammenfassung für eilige Leser
Es gibt eine Vielzahl an Erklärungsmodellen für Organisationen, aus der Soziologie, Psychologie oder den Betriebswirtschaft. Einen vielversprechenden Blick liefert der Blick in die Natur. Der Artikel erklärt, wie Bionik für organisatorische Fragestellungen gelingen kann und welche bekannten Ansätze von natürlichen Vorbildern inspiriert wurden.

Organisationen verstehen

Unternehmensorganisationen lassen sich auf vielfältige Art und Weise begreifen: Für Soziologen ist sie das Ergebnis eines Zusammenspieles aus sich selbst erzeugender Kommunikation. Der Betriebswirtschaftler denkt klassisch an den Dualismus aus Aufbau – und Ablauforganisation. Also einmal Kästchen von oben nach unten (Hierarchie) und einmal Kästchen von links nach rechts (Prozesse). Der Organisationspsychologe hingegen blickt auf den Kontext der Organisation und seine Auswirkungen auf das Handeln des Individuums.

Sicherlich gibt es noch viele andere Denkschulen, die sich mit der Frage befassen, wie Organisationen zu verstehen sind. Denn eines ist allen gemein: Sie liefern nur einen eng gefassten Blick auf Organisationen, der für sich sicher richtig ist, jedoch das große Ganze einer sozialen Organisation niemals einfangen kann. In diesem Artikel beleuchte ich welchen Beitrag die Organisationsbionik liefern kann, um uns zu einem gesamtheitlichen Verständnis von Organisationen helfen kann.

Was ist Organisationsbionik?

Den Begriff Bionik haben die meisten Menschen wohl schon gehört – irgendetwas mit Natur. Genau: Bei der Bionik handelt es sich um die Wissenschaft zur Lösung technischer Probleme nach dem Vorbild der Natur. Wir alle kennen technische Erfindungen, die ursprünglich aus der Ideenkiste von Mutter Natur stammen: Klettverschluss, Lotus-Effekt, Sonar oder Flugzeugtragflächen. In jüngster Vergangenheit lernen wir aber nicht nur Bauprinzipien abzuschauen, sondern auch natürliche Abläufe zu nutzen: Leichtgewichtbauteile werden nach dem Wachstum des Schleimpilzes am Computer erzeugt. Der Reiz der bionischen Forschung ist offenkundig: Alles, was wir in der Natur beobachten können, ist durch Jahrmillionen natürlicher Auslese verfeinert und perfektioniert worden. Damit sind natürliche Vorbilder in einem Reifegrad angekommen, den technische Innovationen sonst nicht liefern können.

Ist es bei all den technischen Durchbrüchen nicht naheliegend, dass die Natur uns auch etwas darüber beibringen kann, wie Organisationen gestaltet werden sollen? Genau dieses Teilgebiet ist die sogenannte Organisationsbionik. Sie versucht organisatorischen und gesellschaftlichen Fragestellungen anhand der Beobachtung der Natur zu beantworten.

Gefahren und Chancen der Organisationsbionik

Wir alle kennen weitverbreitete Beispiele wie Bienenschwärme und Wolfsrudel. Doch inwiefern lassen sich die Herausforderungen moderner Organisationen in einer digitalisierten Welt durch Erkenntnisse aus der Beobachtung von Tieren lösen?

Ich halte diese Skepsis für gerechtfertigt. Ich bin überzeugt, dass Analogien aus der Natur immer mit Bedacht behandelt werden sollen. Denn die zugrunde liegende Annahme ist ja, dass wir eine Ähnlichkeit zwischen den beiden Betrachtungsgegenständen (also z. B. einem Bienenschwarm und Abteilung) unterstellen. Ist diese Ähnlichkeit nicht gegeben, begehen wir einen Fehlschluss, der keinen Mehrwert liefern kann. Gut, abgesehen von einem gewissen Unterhaltungswert natürlich. Denn die Natur schreibt zweifellos spannende Geschichten und liefert schillerndes Anschauungsmaterial.

Es ist offensichtlich: Bei der Organisationsbionik werden zwangsweise unterschiedliche Objekte und Phänomene miteinander verglichen, deren Ähnlichkeit bezweifelt werden darf. Die Kunst ist es also, sich weniger auf offensichtliche Ähnlichkeiten zu stützen, sondern abstrakte Wirkprinzipien zu erkunden, die eine ausreichende Gültigkeit für beide Objekte besitzen. Amüsant, denn auf diese Gefahr wird sogar von staatlicher Seite hingewiesen: das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag warnt sogar vor naiven Analogien und Sozialdarwinismus bei der Übertragung von natürlichen Beobachtungen auf gesellschaftliche Fragen [1].

Wie kann man von der Natur lernen?

Um bewusster mit den Grenzen der Analogienfindung umzugehen, wenden wir uns kurz den Arten des bionischen Lernens zu, das auf dreierlei Art erfolgen kann [2]:

Erstens: Das Lernen von den Ergebnissen der Evolution

Dies ist die klassische Domäne der Bionik. Es werden Ergebnisse, sprich Lebewesen, Phänomene und Strukturen beobachtet und auf technische Lösungen übertragen. Das mag bei technischen Anwendungen problemlos funktionierten, birgt im Rahmen der Organisationsbionik doch erhebliche Gefahren. Denn bei einer technischen Innovation wird versucht, das natürliche Vorbild exakt nachzubilden, indem physikalische Strukturen nachempfunden werden. Die notwendige Ähnlichkeit zur Übertragung ist hier nicht Grundvoraussetzung, sondern Ziel des Vorhabens.

In der Organisationsbionik hingegen kann es aber kaum die Absicht sein, die natürliche Struktur des Bienenschwarms exakt nachzuempfinden. Niemand würde ernsthaft versuchen ein möglichst vergleichbares Sozialgefüge zu installieren. Das funktioniert allein deshalb schon nicht, da die für die Zielorganisation konstituierenden Elemente einander nicht ähnlich sind: Bienenschwärme bestehen aus Königinnen, Arbeiterinnen und Drohnen, menschliche Organisationen hingegen aus Menschen.

Zweitens: Das Lernen vom Evolutionsprozess

Hier geht es darum, den Prozess der Evolution selbst zu nutzen, sprich Verfahren und Algorithmen zu entwickeln, die auf Selektionsmechanismen á la Darwin basieren. Da es hier bereits um „Wie“ anstelle von „Was“-Fragestellungen handelt, bin ich der Meinung, dass diese auch für organisatorische Fragestellungen nutzbar sind. Dass die darwinsche Idee einen universellen Charakter hat, der weit über biologische Fragestellungen hinaus Antworten liefert, ist heute anerkannt [3]. Evolutionsalgorithmen sind deshalb heute bereits verbreitet, wenn es um Optimierungsprobleme geht, denen man durch wiederholte Selektion versucht anzunähern. Lose übertragen kann man den verbreiteten Deming-, oder auch PDCA-Zyklus zur Prozessoptimierung hier einordnen: Denn nach jeder Veränderung (Mutation) in Form der Do-Phase, folgt eine Check-Phase, in der die tatsächlichen Ergebnisse evaluiert werden. Sind diese nicht ausreichend gut, wird der Lösungsansatz selektiert und ggf. eine neue Optimierungsrunde eingeleitet (Act-Phase)

Drittens: Das Lernen von den Prinzipien der Evolution

Die dritte Art des Lernens geht es um die Nutzbarmachung grundlegender Prinzipien der Natur, wie z. B.: Selbstorganisation, Autopoiesis, Rekursion oder der Modularität. Aus meiner Sicht ist diese Art des Lernens ein Sonderfall der ersten Methode, indem man sich auf die Zusammenhänge und Interaktionen bei der Beobachtung von natürlichen Vorbildern fokussiert – dem „Wie“. Denn aus einem Verständnis der Abläufe lassen sich abstrakte Prinzipien ableiten, die wiederum breiter übertragbar sind. Ich persönlich halte die Gewinnung von natürlichen (Erfolgs-)Prinzipien für sehr ergiebig, da mir meine mittlerweile fast 10 Jahre andauernde Lernreise eines gezeigt hat: Das natürliche Prinzipien zwingende Notwendigkeit besitzen – und zwar für alle lebenden Systeme (und Organisationen).

Beispiele für organisationsbionische Ansätze

Im Folgenden habe ich eine ausgewählte Liste an mir bekannten Organisationsansätzen zusammengetragen. Die Reihenfolge ist grob chronologisch von alt zu neu erfolgt. Vermutlich werden Sie auch überrascht sein, den einen oder anderen Ansatz hier zu finden, da dessen Begründer sich sicherlich nicht als Organisationsbioniker verstehen würde. Außerdem kommentiere ich kurz, wie viel Inspiration aus der Natur Einfluss in den jeweiligen Ansätzen steckt. Eine fehlende Übertragung vom natürlichen Vorbild ist selbstredend kein Kriterium für fehlende Wirksamkeit sein, ist aber damit keine bionische Analogie im engeren Sinne mehr.

Viable System Model von Stafford Beer

Bereits in den späten 1960er-Jahren formuliert, ist das Viable System Model (abgekürzt VSM) das älteste Management-System nach dem Vorbild der Natur [4]. Erfunden vom Management-Kybernetiker Stafford Beer ist das VSM ein generisches Referenzmodell für jede Art von Organisation, mit dem Gedanken, diese überlebensfähig zu machen. Beer spricht selbst davon, dass das VSM dem menschlichen Zentralnervensystem nachempfunden ist. Das VSM teilt das zu steuernde System in fünf Subsysteme ein, die alle einen bestimmten Beitrag zum lebensfähigen Gesamtsystem liefern. Man erkennt hier deutlich, dass Beer einen operativen Managementhintergrund hatte. Die fünf Systeme von Produktion bis hin zum Management, wirken eher wirtschaftswissenschaftlich als biologisch. Trotz seines Alters hat das VSM bis heute überdauert, wird erfolgreich angewandt und hat unter anderem auch das St. Gallener Management-Modell maßgeblich beeinflusst.

Nun, das VSM ist sicherlich nicht zu Unrecht in dieser Liste. Doch ist es aus meiner Sicht weniger bionisch angehaucht, als es den Anschein macht. Die Ähnlichkeiten zu einem menschlichen Nervensystem sind als anekdotisch einzustufen. Denn sie beziehen sich häufig eher auf anatomische Ähnlichkeiten („Was“) anstelle der Funktionalität („Wie“). Das mag auch am begrenzten Wissen über die Wirkungsweise unseres Nervensystems Mitte des letzten Jahrhunderts liegen. Auf der anderen Seite finden sich natürliche Prinzipien wie die Rekursion oder Autopoiesis darin wieder, die aus dem Repertoire der Natur kommen. Praktisch liefert es aus meiner Sicht sehr hilfreiche Ansätze zur Strukturierung und Gestaltung von Organisationen, gerade wenn es darum geht Organisationseinheiten mit einem optimalen Handlungsspielraum auszustatten (siehe auch [5]).

Eine Abschlussbemerkung: Obwohl ich ein echter Fan des VSM bin, ist gerade der Name des Modells irreführend: Viable System Modell, also überlebensfähiges Systemmodell. Doch wie auch viele andere Denker, die durch die kybernetische Denkschule des 20. Jahrhunderts beeinflusst wurden, konnte Beer mit seinem Model nicht die Lebensfähigkeit von Organisationen erklären. Denn das wäre so, als ob man behauptet, ein Nervensystem ist überlebensnotwendig. Das würde Pilzen, Bäumen und anderen einzelligen Lebewesen aber sicherlich Unrecht tun, die hervorragend ohne diese Einrichtung zurechtkommen.

Systemtheorie nach Niklas Luhmann

Ja, vermutlich ist der eine oder die eine überrascht, die Systemtheorie nach Niklas Luhmann hier zu finden, doch ich habe dafür meine Gründe. Herr Luhmann ist ja dafür bekannt, über Jahrzehnte einen recht umfassenden Erklärungsansatz für die Beschreibung von komplexen sozialen Organisationen (oder Systemen) verfasst zu haben. Nicht nur hat er erkannt, dass die Differenz zwischen Dingen notwendig ist, um überhaupt etwas erkennen zu können und definiert Systeme als die Differenz seiner Umwelt. Ein System hat demnach unterscheidbare Eigenschaften gegenüber seiner Umwelt, die in der Beziehung zwischen seinen Elementen zu finden sind. Diese Beziehung ist die Kommunikation bzw. Interaktionen innerhalb einer sozialen Organisation. Kommunikation erzeugt wiederum neue Kommunikation usw. wodurch das soziale System „am Leben bleibt“. Und an dieser Stelle ist Luhmanns Blick in die Natur offenkundig: Denn Luhmann verwendet den Begriff der Autopoiesis, die ein zentrales Prinzip der Systemtheorie ist und interpretiert ihn im Sinne der Sozialwissenschaften [7]. Denn Autopoiesis bezeichnet die sogenannte Selbsterzeugung (griech. autos = selbst und poiesis = erzeugen) von Lebewesen und lebenden Systemen und wurde erstmals durch die Biologen Humberto Maturana und Franceso Varela geprägt [8]. Luhmanns Erkenntnis: Soziale Systeme verarbeiten kontinuierlich Sinn und operieren auf Basis von Kommunikation, während Biologische materielle Ressourcen verarbeiten und auf Basis von physikalisch-chemischen Prozessen operieren. Beide sind somit auf ihre Art autopoietisch.

Luhmann hat mit der Integration des biologischen Prinzips der Autopoiesis eine Ähnlichkeit zwischen Lebewesen und sozialen Organisationen gezogen. Er ging sogar so weit zu sagen, dass nichts in der Soziologie Sinn ergebe, betrachte man es nicht im Lichte der Autopoiesis [6]. Ich werte das als Anerkennung dafür, dass soziale Organisationen im übertragenen Sinne virtuelle Lebewesen sind. Damit gehört die luhmannsche Systemtheorie in meinen Augen zurecht auf diese Liste, von der Natur inspirierter Ansätze.

Synergetik von Herman Haken

Die Synergetik ist die interdisziplinäre Theorie der Selbstorganisation, die in der Natur in vielfacher Weise beobachtet werden kann, bspw. beim Wachstum von kristallen Wellenstrukturen, Wolkenmuster, Dünen bis hin zur Zellbildung. Die Synergetik ist in den 1970er-Jahren aus der statistischen Physik der Nichtgleichgewichtssysteme hervorgegangen und behandelte zunächst nur physikalische Systeme. Ziel ist es, Prinzipien der natürlichen Selbstorganisation in dynamischen, komplexen Systemen zu ergründen, z. B. die durch die Wechselwirkung gleicher Elemente innerhalb dieser Systeme entsteht. In bionischer Manier überträgt die Synergetik seit ihrer Begründung physikalische Beobachtungen auf anderen Wissenschaftsdomänen wie der Soziologie, Psychologie, aber auch der Managementlehre [9].

Die Synergetik liefert damit einen bionischen Erklärungsansatz für die Ausprägung von Selbstorganisation im Organisationsumfeld. Anstelle starrer hierarchischer, sollen flache veränderliche Organisationsstrukturen folgen, die durch verteilte Intelligenz Entscheidungen treffen. Durch die Wahl der richtigen Ordnungsparameter durch eine höhere Instanz, soll das Management geeignete Ausgangsbedingungen für die Selbstorganisation im Unternehmen schaffen.

Zellstruktur-Design von Nils Pfläging und Silke Hermann

Das Zellstruktur-Design verspricht ein modernes Managementsystem bzw. Open Source Sozialtechnologie nach dem Vorbild der Zelle [10]. Der Ansatz verbindet eine Vielzahl an 12 Beta-Kodex und 12 Zellstruktur-Design-Prinzipien. Ich bin der Meinung, dass die Prinzipien für sich alle nicht grundlegend falsch, aber losgelöst voneinander sind. Insbesondere fällt auf, dass der Ansatz und seine Prinzipien aber außer einer augenscheinlichen Ähnlichkeit mit einer Zelle, keine tiefergehenden Übertragungen enthält. Die wenigen Ähnlichkeiten sind der Übertragung von anatomischen Strukturen („Was“) entsprungen, was wie eingangs beschrieben im Kontext von Organisationen nicht zielführend ist. Das eine Zelle rund ist, und ein Innen und Außen hat stimmt zwar, jedoch ist die Lernmöglichkeit daraus für Organisationen überschaubar. In seiner Gesamtheit ist für mich der Zellstruktur-Design-Ansatz eher ein Potpourri moderner Managementphilosophie von Selbstorganisation bis hin zur Agilität.

Sonstiges: Fraktale, Bienenwaben und andere Organisationsmodelle

Vor einiger Zeit titelte ein Artikel der Corporate Rebels: „10 progressive Organisationsstrukturen, die von echten Unternehmen entwickelt wurden“ [11]. Spannend war dabei für mich, dass davon die Hälfte nach Strukturen benannt worden sind, die in der Natur vorkommen, darunter: Amöben, Zellen, Fraktale, Bienenwaben und Gittermuster.  Sobald man dann in die Beschreibungen der einzelnen Organisationsstrukturen eintauchte, stellte man fest, dass die Benennung nach ihrem natürlichen Vorbild eher erzählerischem Ursprung ist. Denn egal ob Amöben, Fraktale oder Bienenwaben immer ging es darum, dass es kleinere (mehr oder weniger) autonome Einheiten im Unternehmen gab. Diese selbstorganisierten Einheiten waren gegenüber dem Gesamtunternehmen klein (5 bis 50 Mitarbeiter), und selbst für ihre Profitabilität verantwortlich. Bionisch betrachtet ist auch die Zelle eines Lebewesens eine autonome lebensfähige Einheit. Zellen sind jedoch im Verbund (als Teil eines Organismus) zumeist stark spezialisiert und somit nur in Symbiose mit dem restlichen Zellverbund lebensfähig ist. Je nachdem ob die genannten Organisationseinheiten also miteinander als Ganzes operieren oder (z. B. wie bei Kyoceras Amöben) autonom und im Wettstreit bleibt die bionische Analogie fragwürdig. Auch Insektenschwärme, die gerne als Super-Organismen bezeichnet werden gibt es keinen inneren Wettbewerb zu beobachten. Folglich ist anzunehmen, dass die Namensgebung dieser Organisationsmodelle eher zufällig ist und weniger von einer überlegten Übertragung aus der Natur herrührt.

Viable Business von Clemens Dachs

Die Eigenschaft aller lebenden Systeme (Lebewesen und Organisationen), sich selbst zu erzeugen, ist die Autopoiesis. Sie ist für Leben zentral, denn ohne Autopoiesis kein Wachstum und ohne Wachstum kein Leben. Doch beschäftigt man sich eingehender mit der Autopoiesis stellt fest, dass diese von den Vordenkern des letzten Jahrhunderts nicht erklärt werden konnte.

Im Jahre 2013 wurde von Clemens Dachs Idee geboren, dass Organisationen doch wie Lebewesen funktionieren müssten. Denn Lebewesen haben viele positive Eigenschaften, die sich Unternehmen heute wünschen: Schnelles Wachstum, inneres Gleichgewicht und eine über Jahrmilliarden bewährte Anpassungsfähigkeit. Doch anstelle sich mit ausgewählten Lebensformen zu beschäftigen, wählte Dachs einen bisher eher ungewöhnlichen Beobachtungsgegenstand: die Zelle. Denn egal ob Mensch, Tier, Einzeller oder Pflanze auf molekularer Perspektive ist jede Lebensform gleichartig aufgebaut. Die Zelle ist der kleinste gemeinsame Nenner des Lebens. Wirkliche Lebensfähigkeit von lebenden Systemen kann also nicht mit einem Nervensystem (vgl. VSM) erläutert werden, sondern indem man die molekularbiologischen Dynamiken jeder Art von Leben entschlüsselt. Es geht somit nicht darum, die Struktur der Zelle zu verstehen, sondern die zugrundeliegende Funktion, die Autopoiesis bedingt („Wie“). Die These dahinter: Sind die funktionalen Wirkprinzipien verstanden, sollten diese sich auch auf andere lebende Systeme, wie Organisationen übertragen lassen.

Die Ergebnisse der Forschungs- und praktischer Anwendungsarbeit führten Dachs 2020 zur erfolgreichen Dissertation über „Viable Project Business – A Bionic Management System for Large Enterprises“ [12], 2021 zu unserem gemeinsamen Business-Roman „Zellkultur“ [13] und in diesem Jahr zu einem kleinen, kurzweiligen Theoriebüchlein, „Autopoiesis“ genannt [14]. 

Gegenstand all dieser Werke ist die Beschreibung eines bionischen Management-Systems, dass auf logisch aufeinander aufbauenden Prinzipien beruht. Und zwar fundamentalen Wirkprinzipien, die im Zusammenspiel die lebensfähige Dynamik erzeugen, die Autopoiesis überhaupt erst ermöglicht. Die spannende Erkenntnis: Lebewesen sind nur in ihrer Gesamtheit im Gleichgewicht (Homöostase), weil ihre gesammelten inneren Abläufe selbstverstärkend, also exponentiell ablaufen (Katalyse). Was erstmal wie ein Paradoxon klingt, ist der grundlegende Bauplan des Lebens, der Leben physikalisch überhaupt erst möglich macht. Denn Clemens Dachs Theorie beginnt ganz unten: bei der Betrachtung der physikalischen Rahmenbedingungen unseres Universums. Denn diese Notwendigkeiten brachten in Folge die lebendige Dynamik hervor, die wir unverändert seit Jahrmilliarden in Zellen aller Art vorfinden.

Mit meiner Hilfe übersetzten und implementierten diese Beobachtungen in den letzten Jahren, um diese praktisch in Unternehmen nutzbar zu machen. Dabei zeigte sich Erstaunliches: Selbst Erfolgsprinzipien verbreiteter Managementansätze wie Lean, Agile und Theory of Constraints, lassen sich in lebenden Zellen wiederfinden. Sie sind, richtig kombiniert, Bausteine einer wachstumsfördernden Dynamik. Es ist also denkbar, dass der bionische Funktionsplan des Lebens eine geeignete Landkarte ist, um bekannte und erfolgreiche Methoden der Unternehmensführung, zu einem widerspruchsfreien Ganzen zusammenzufügen.

Aus Sicht der Bionik ist der Dachse Ansatz ein fundierter Versuch, vom „Wie“ des Lebens zu lernen, um Organisationen lebensfähig in einer sich veränderlichen Umwelt zu gestalten. Durch das erstmalige Verständnis der Autopoiesis selbst, können Unternehmen ihr Wachstum fördern, indem sie die nötigen Dynamiken nach dem Vorbild der Natur erzeugen. Damit bietet der Ansatz das Potenzial, die Denkweise darüber, wie Organisationen verstanden werden, grundsätzlich zu revolutionieren.

Und was kommt nach der Analogie?

Alles was gegen die Natur ist hat auf Dauer keinen Bestand.

-Charles Darwin

Ich bin der Überzeugung, Darwins Zitat bringt es auf den Punkt. Die Natur ist so ideenreich, wie genial. Seit Milliarden von Jahren schafft sie Organisationsformen in einer unvorstellbaren Komplexität und Vollkommenheit. Ich glaube daher, dass es sich lohnt, wieder ganz genau hinzusehen. Hinzusehen, um die verborgenen Geheimnisse der Natur zu entschlüsseln und für eine neue Generation der Unternehmensführung nutzbar zu machen. Eine Generation an Unternehmen, die sich die unumstößlichen Naturprinzipien aller lebenden Systeme zu eigen macht, um bessere Organisationen zu schaffen – und zwar für Mensch und Natur.

Denn jedes System, dass sich nicht im Einklang mit seiner Umwelt befindet, wird früher oder später vergehen. Und das gilt es für jedes lebende System, auch Organisationen tunlichst zu vermeiden.

P.S.: Ich biete Organisationsentwicklung auf Basis moderner Organisationsbionik an, um unternehmerische Herausforderungen zu lösen. Mehr dazu hier: Home

Literaturhinweise

[1] A. von Geich, C.Pade, I. Petschow, E. Pissarskoi (2007) Bionik: Aktuelle Trends und zukünftige Potentiale
[2] https://rp-online.de/leben/beruf/was-manager-von-woelfen-lernen-koennen_aid-11304637
[3] D.C. Bennet (1995): Darwins’s dangerous idea [Link] http://www.inf.fu-berlin.de/lehre/pmo/eng/Dennett-Darwin’sDangerousIdea.pdf
[4] S. Beer (1995): Brain of the firm
[5] M. Pfiffner: Die dritte Dimension des Organisierens: Steuerung und Kommunikation
[6] Luhmann, Baecker (2017): Einführung in die Systemtheroie
[7] D. M. Rodríguez, J. N. Torres:  Autopoiesis, die Einheit einer Differenz: Luhmann und Maturana; abrufbar unter: https://publications.iai.spk-berlin.de/servlets/MCRFileNodeServlet/Document_derivate_00001130/BIA_116_079_108.pdf
[8] H. Maturana, F.J. Varela (1980): Autopoiesis and Cognition
[9] H. Haken, G. Schiepek (2010): Synergetik in der Psychologie: Selbstorganisation verstehen und gestalten
[10] N. Pfläging, S. Hermann (2020): Zellstruktur-Design
[11] https://corporate-rebels.com/progressive-organizational-structures/
[12] C. Dachs (2021) Viable Project Business – A bionic Management System for Large Enterprises
[13] C. Dachs, Moritz Hornung (2021): Zellkultur – Ein Business-Roman über bionisches Organisationsdesign [mehr dazu hier: business-surivalist.com/zellkultur-business-roman]
[14] C. Dachs (2022): Autopoiesis

Konzentration, bitte! Mehr bewirken in kürzerer Zeit

Zusammenfassung für eilige Leser
Eine hohe Konzentration ist nicht nur notwendig, um Leben zu ermöglichen. Es ist auch ein grundlegendes Prinzip, dass auf die Nutzung der eigenen Zeit übertragen werden kann, denn Konzentration und Geschwindigkeit von Abläufen hängen direkt zusammen. Je höher die Konzentration innerhalb eines Systems, desto kürzer sind die Wegzeiten und desto schneller Laufen Prozesse ab. Anhand Stephen R. Coveys Modell des Interessen- und Einflussbereiches wird erläutert, was Konzentration für die eigene Gedankenwelt bedeutet.

Abgesehen von einer Aktualisierung meines letzten Artikels hat sich auf meinem Blog seit geraumer Zeit wenig geregt. Das ist nicht damit begründet, dass ich meinen Blog aufgegeben habe. Viel mehres lag in einer bewussten Entscheidung, meinem Blog zugunsten meines Buchprojektes keine Zeit zu schenken. Unser Buchprojekt Zellkultur ist endlich auf der Zielgeraden und so habe ich wieder Zeit, um eine kleine Artikelserie über das Grundprinzip der Konzentration zu verfassen. In diesem Artikel werde ich erläutern, weshalb Konzentration die Geschwindigkeit von Abläufen erhöht und wie sie dieses Prinzip nutzen können, um ihre oder die Zeit ihrer Organisation besser zu nutzen. Außerdem werden sie überrascht sein, dass ich nicht über Konzentration im Sinne von „angestrengt nachdenken“ spreche, sondern über eine „Menge von Dingen in einem Raum“. Dinge wie Teilchen oder Gedanken und ein Raum wie das Zellinnere, oder eben unserem Kopf!

Konzentration – was ist das?

Das Bild für diesen Artikel habe ich ganz bewusst gewählt. Denn der schillernde Diamant im Zentrum ist ein Sinnbild für hohe Dichte. Diamanten entstehen unter unglaublichem Druck tief im Inneren unserer Erde. Diamant hat eine Dichte von 3.51 Gramm pro Kubikzentimeter. Ein Kubikzentimeter ist ein Würfel mit einer Kantenlänge von jeweils 1 cm, ganz ähnlich zu einem üblichen Spielwürfel, so wie man ihn aus Brettspielen kennt. Die Dichte ist also ein Maß dafür, wie viele Dinge sich innerhalb eines bestimmten Raumes (z. B. einem Würfel) befinden. Weil sich viele Moleküle innerhalb des Würfels befinden, ist der Diamant schwerer als z. B. Graphit, der dem Diamanten chemisch sehr ähnlich ist. Grob vereinfacht: Je mehr Dinge sich darin befinden, desto dichter ist ein Gegenstand. Die Dichte existiert natürlich nicht nur für feste Körper wie Diamanten, sondern auch Gasen oder Flüssigkeiten. Die Dichte für sie sagt uns, wie viele Teilchen sich innerhalb eines Raumes befinden. Für Lebewesen ist die Dichte mehr als nur eine physikalische Größe. Sie ist eine Notwendigkeit, wie die Katalyse, um Leben zu ermöglichen.

Von Dichte, Wegen und Geschwindigkeit

Dieses bunte Bild ist aus unserem Roman Zellkultur entliehen. Es zeigt eindrucksvoll, wie es denn in unseren Zellen aussieht. Vorausgesetzt, man nutzt eine Vergrößerung von einer Million (angelehnt an Darstellung aus dem Buch „Wie Zellen funktionieren“ von David Goodsell [2]). In dieser mikroskopisch kleinen Welt funktioniert vieles völlig anders als in unserer Welt. Die bunten Formen sind allesamt Moleküle verschiedenster Form und Größe. Kleine wendige Zuckermoleküle, große träge Proteine, aber auch viele Wassermoleküle dazwischen. Wasser ist hier also keine Flüssigkeit mehr, sondern eine Menge an Teilchen. Unterm Strich: ein ziemliches Gedränge. Die dicht aneinander gedrängten Teilchen schubsen sich einander, stoßen an, prallen ab und irren ziellos umher.

Wir wissen heute, dass Leben salopp gesagt nichts anderes ist als chemische Reaktionen. Und zwar viele davon, die vor allem aneinander anschließen müssen, ohne abzureißen. Das ist es, was wir gemeinhin Stoffwechsel nennen. Damit dies geschieht, ist es zwingend notwendig, dass alle Teilchen möglichst dicht aneinander liegen. Natürlich nicht so dicht, dass sich keiner mehr rühren kann, aber so dicht, dass möglichst wenig Platz oder besser gesagt Entfernung zwischen den Teilchen vorhanden ist. Denn je näher sie sich sind, desto geringer ist die durchschnittliche Zeit, bis zwei passende Teilchen aneinander geraten. Denn unabhängig von ihrer individuellen Geschwindigkeit ist die Wegstrecke maßgeblich dafür verantwortlich, wie oft Teilchen miteinander kollidieren.

Am Ende geht es nur um eines: Zeit

Die hohe Dichte in lebenden Zellen sorgt also dafür, dass die Wege kurz sind und damit viel häufiger mögliche Reaktionspartner zusammentreffen. Aber nicht nur das, wie man im Bild schön sehen kann, ordnen sich Zellen auch so, dass nur bestimmte Teilchen nahe beieinander sind. Stellen sie sich eine Kiste voller loser, ungeordneter Schrauben vor: große Schrauben, kleine Schrauben, lange Schrauben, kurze Schrauben usw. Um in dieser losen Kiste die richtige Schraube zu finden, benötigen sie deutlich mehr Zeit, als wären die Schrauben in separaten Kisten geordnet. Je seltener die gesuchte Schraube ist, desto länger dauert es, bis ihr Werkzeug mit der Schraube „reagieren kann“. Genau dieses Prinzip nutzen Zellen, um die Dichte an passenden Teilchen zu erhöhen. Denn am Ende gilt: Hohe Konzentration bedingt kurze Wege, die weniger Zeit kosten. Und am Ende geht es nur darum: Abläufe schnell und damit anschlussfähig zu machen. Ist die Dauer zwischen zwei Abläufen zu lange, reißt die Kette ab und das System kommt zum Erliegen [1].

Ohne Grenzen, keine Konzentration

Wir wissen jetzt, dass viele Dinge auf einem begrenzten Raum für eine hohe Dichte sorgen. Indem wir aber zusätzlich nur die Dinge in diesen Raum lassen, die wir benötigen, erreichen wir eine hohe Konzentration. Eine Konzentration an Nützlichem, weil alles andere außen vor gelassen wird. Einen Raum bekommt man aber nur, wenn man Grenzen setzt. Hätte eine Zelle keine Hülle, so würden die aufwendig geordneten Teilchen überall hin wegschwimmen. Das Resultat wären längere Wege und Zeitverlust. Das heißt für uns, wenn wir Dinge schnell tun möchten, benötigen wir ordnende Strukturen und Grenzen, die uns ermöglichen, nützliche Dinge zu sammeln.

Unser Interessen und Einflussbereich

Verlassen wir nun die Zellen und wenden uns einem bekannten Konzept von Stephen R. Covey zu, das er Interessen- und Einflussbereich nennt [3]. Das Konzept eignet sich recht gut, um die Problematik fehlender Konzentration zu ergründen. Jedoch ist es in seiner Urform unvollständig, da der wichtige Aspekt der Konzentration keine Beachtung findet. Die Idee der Kreise ist es, Themen, die uns beschäftigen oder mit denen wir uns beschäftigen, einzuordnen. Der äußere Rand stellt die Wahrnehmungsgrenze dar. Was sich hinter dieser Grenze befindet, bekommen wir nicht mit uns kann uns demnach weder interessieren, noch können wir darauf Einfluss nehmen. Alles, was sich innerhalb dieser Grenze befindet, hat ein Abbild in unserem Kopf. Je mehr das ist, desto mehr unterschiedliche Dinge und Gedanken liegen in unserer „Schraubenkiste“.

Im Interessenbereich befindet sich alles, was irgendwie unser Interesse weckt. Das können Nachrichten sein, äußere Umstände und andere Themen, auf die wir aber keinen direkten Einfluss haben. Alle Aufmerksamkeit und Zeit, die wir hier aufwenden, ist dahingehend verloren, weil wir nichts ändern können.

Im Einflussbereich befinden sich Dinge, die wir nicht direkt kontrollieren können, aber die wir beeinflussen können. Üblicherweise siedeln sich hier Themen an, die sich mit anderen Personen beschäftigen. Alle Dinge am Arbeitsplatz, in der Familie, im Verein oder in anderen sozialen Gruppen sind hier verortet.

Und dann wäre da noch der Kontrollbereich. Er ist eine Teilmenge aus unserem Einflussbereich mit dem Unterschied, dass wir ihn absolut in der Hand haben. Für gewöhnlich sind das Dinge, über die wir die volle Entscheidungsgewalt haben oder die uns selbst betreffen.

Den Einflussbereich vergrößern

Stephen R. Covey argumentiert, dass proaktive Menschen ihre Energie auf ihren Einflussbereich lenken (in seinem Modell gibt es keinen Kontrollbereich), während reaktive Menschen sich auf ihren Interessenbereich fokussieren. Sie nutzen ihr wertvolle Zeit, um über Dinge nachzudenken, die sie nicht ändern können: Die Umstände, die Politik, die Nachrichten, die Aktienkurse. Sicherlich kann man den ganzen Tag über die Folgen der Corona Pandemie lamentieren und jede Eilmitteilung verfolgen. Falls daraus keine Aktivität erwächst, die sich innerhalb des eigenen Einfluss- oder Kontrollbereiches befindet, stellt sich jedoch die Frage: Was bringt mir das?

Stephen R. Covey empfiehlt dann, den eigenen Einflussbereich (inkl. Kontrollbereich) zu vergrößern. Z. B. indem man anstelle sich über etwas aufzuregen, bestimmt, was man konkret für sich für Konsequenzen zieht. Anstelle sich über das Verhalten anderer auszulassen, den eigenen Umgang mit diesem verhalten ändert. Aus Sicht der Konzentration gewinnt man hierdurch jedoch nur neue Handlungsoptionen. Denn es kommen neue Dinge hinzu. Und das bedeutet ja nicht, dass die Bisherigen verschwinden. Die Konzentration verringert sich im ersten Schritt also weil man noch mehr Möglichkeiten im Kopf hat, auf die man die eigene Aufmerksamkeit aufteilen kann. Den eigenen Einflussbereich erweitern ist in etwa damit vergleichbar: Es ist gut, vielseitig interessiert zu sein. Deshalb lege ich mir jetzt einige neue Hobbys und Lernbereiche zu. Die Folge ist, ich habe mehr Themen in meinem Kopf. Die Zeit, um diese neuen Hobbys zu bedienen, muss jedoch von anderen Themen abgezogen werden. Das führt zu weniger Zeit pro Thema und potenziell häufigeren Kontextwechseln.

Aktionsbereich nutzen um Konzentration zu erhöhen

Ich gehe davon aus, dass der Interessen- und Einflussbereich keine stabile Größe ist. Er ist ein Sammelsurium an Dingen, die sich über die Zeit ändern, zum Teil auch unwillentlich. Vor Corona hatte niemand einen Posten der Lockdown oder Impfungen hieß in seinem Interessenbereich. Heute hat es nahezu jeder Bundesbürger. Selbst ich verbringe mehr Zeit als früher damit, Nachrichten zu konsumieren, die mich in eine schlechte Stimmung versetzen. Auf Kosten anderer deutlich vorteilhafterer Themen. Die Auswahl an Themen, mit der wir uns innerhalb einer Zeiteinheit z. B. eines Tages beschäftigen, nenne ich Aktionsbereich. Diesen können wir mit entsprechender Vorbereitung weitgehend selbst festlegen oder, ausreichende Selbstwahrnehmung vorausgesetzt, auch situativ steuern.

Wie wir gelernt haben, geht es gar nicht um die Menge der Dinge alleine, sondern um ihre Distanz zueinander. Je mehr wir unsere Zeit, womöglich ohne dass es uns bewusst sind aufteilen, desto geringer wird die Wirksamkeit unseres Zeiteinsatzes. Da unser Aktionsbereich eine geringe Konzentration hat, entfällt auf jedes Thema weniger Zeit und Aufmerksamkeit. Zudem haben wir mentale Distanzen zurückzulegen, jedes Mal, wenn wir uns etwas anderem zuwenden. Im Berufsalltag bezeichnen wir dieses Phänomen gerne als „Multitasking“. Wobei Multitasking keine Gleichzeitigkeit beschreibt, sondern vielmehr das mentale Reisen zwischen den Themen. Denn der Kontextwechsel ist es, der uns Zeit kostet. Je weniger Themen wir in unseren Aktionsbereich zulassen, desto höher ist dessen Konzentration. Wir haben weniger verschiedene Schrauben in unserer Kiste und finden diese auch schneller, selbst wenn wir vorher den Kontext gewechselt haben.

Dieser Zusammenhang ist in einer beispielhaften Darstellung eines Interessen- und Einflussbereiches veranschaulicht. Der rote Aktionsbereich hat nicht nur eine geringere Konzentration, sondern auch noch einen Fokus auf den ungünstigen Interessenbereich. Der grüne Aktionsbereich hat eine deutlich höhere Konzentration, indem er sich auf wenige (hoffentlich sinnvolle) Aspekte reduziert und damit Optionen ausschließt. Sind Themen im Aktionsbereich fertig oder ausreichend betreut kann Platz für Neues geschaffen werden. Optimal ist eine begrenzte Auswahl von Themen die sich überwiegend im eigenen Kontrollbereich befinden.

Fazit

Konzentration und Geschwindigkeit sind fundamentale Zusammenhänge, die sich in unterschiedlichen Kontext übertragen und nutzen lassen. Selbst gemeinhin bekannte Prinzipien wie Multitasking oder Achtsamkeit lassen sich aus physikalischen Zusammenhängen herleiten. Indem wir uns über unsere eigene Wahrnehmungsgrenze klar werden, lernen wir, welche Themen uns bewegen und beeinflussen. Aber nicht jedes Thema, das unsere Aufmerksamkeit einnimmt, ist jedoch hilfreich für uns. Sie erhöhen alle die Dichte in unserem Kopf. Bis alles so voll ist, dass sich auch die guten Gedanken nicht mehr bewegen können. Denn störende Themen sind nicht nur einfach da – nein, sie reduzieren die Konzentration und machen es unwahrscheinlicher, dass wir Zeit für Vorteilhaftes aufwenden. Denn jeder Kontextwechsel zwischen fremden Gedankengängen kostet uns wiederum Zeit. Den eigenen Aktionsbereich innerhalb unserer Wahrnehmungsgrenze zu verstehen und zu gestalten, kann uns Aufschluss darüber geben, wohin unsere Zeit wandert. Und darum geht es ja: die Zeit. Denn sie ist die begrenzende Ressource jedes Lebewesens.

Im nächsten Artikel wird es darum gehen, wie man das Prinzip der Konzentration durch clevere Ordnung im Alltag und Beruf dazu einsetzt, Prozesse und Abläufe zu beschleunigen. Entweder für ich selbst oder auch für die eigene Organisation.

Hinweis: Die Konzentration wird auch in unserem Business-Roman Zellkultur thematisiert.

Danke fürs Lesen. Leben Sie lang und erfolgreich!

Literaturhinweise und Buchempfehlungen

[1] Dachs, Clemens (2021): Viable Project Business. A Bionic Management System for Large Enterprises. Cham: Springer International Publishing AG (Contributions to Management Science).
[2] Goodsell, David S.; Renneberg, Reinhard; Hummel, Isolde (2010): Wie Zellen funktionieren. Wirtschaft und Produktion in der molekularen Welt. 2. Aufl. Heidelberg: Spektrum Akad. Verl. (Spektrum-Sachbuch).
[3] Covey, Stephen R. (2016): Die 7 Wege zur Effektivität. Prinzipien für persönlichen und beruflichen Erfolg. Unter Mitarbeit von Angela Roethe, Ingrid Pross-Gill und Nikolas Bertheau. 36. Auflage. Offenbach: GABAL